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Sterben

Ganz normal dysfunktional

Regisseur und Drehbuchautor Matthias Glasner hat ein komplexes, emotional sehr hartes Familiendrama inszeniert, in dem man Längen und durchaus komische Momente findet.

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Lissy sitzt buchstäblich in der Scheiße. Sie ist sterbenskrank und muss sich um ihren an Parkinson leidenden Mann Gerd kümmern. Zu zweit schaffen sie es dennoch mit dem Auto zum Einkaufen, denn Lissy kann zitterfrei lenken und Gerd kann sehen. Aber ihr Leben ist zu einer halsbrecherischen, zähen und absehbar zu Ende gehenden Angelegenheit geworden. Das sieht Lissy eigentlich ganz nüchtern.

Regisseur und Drehbuchautor Matthias Glasner (Silberner Bär für das Drehbuch auf der diesjährigen Berlinale) hat ein komplexes, emotional sehr hartes Drama inszeniert, in dem man Längen (183 Minuten stehen an) und durchaus komische Momente findet. Glasner fächert sein sehr persönliches Werk über den Abschied in fünf Kapitel auf, lässt uns zunächst aus Lissys Perspektive am Siechtum des Alters teilhaben. Die farblose, mürrische Lissy, die nur ab und an in der Musik ein wenig Freude findet, wird grandios sperrig von Corinna Harfouch gegeben. Dann geht die Geschichte über zu ihrem Sohn Tom, der gerade mit den Proben des Requiems „Sterben“ zu Gange ist. Tom (Lars Eidinger) versucht, neben dem Orchester vor allem seinen narzisstischen Komponistenfreund Bernard zu dirigieren, der ständig ausfällig wird oder zweifelt. Außerdem hat er gerade „so etwas“ wie ein Kind bekommen. Seine Ex Liv wurde von einem Mann schwanger, dem sie die Sorgearbeit nicht zutraut. Tom springt pflichtbewusst ein. Warum, weiß er wohl selbst nicht so richtig. Darauf folgt ein Ausflug in Ellens (Lilith Stangenberg) Welt, Toms Schwester, die überdreht genial, fragil am Rande des Absturzes balanciert.

Alles in allem eine ganz normal dysfunktionale Familie par excellence. Das große Gefühl, das bleibt, ist die Frage nach dem spezifisch Deutschen, oder gar Westdeutschen, das Glasners Inszenierung verströmt. Sind die Schläge in die Magengrube, die, vor allem in einem brachialen Dialog zwischen Sohn und Mutter, ihr Ziel mit kalter Lust an der ach so befreienden Ehrlichkeit nie verfehlen, das Spezifische an „unserem“ familiären Unglück - eine fehlende Fähigkeit der Gnade mit sich und Anderen?

Susanne Kim

Details

Deutschland 2024, 180 min
Genre: Drama
Regie: Matthias Glasner
Drehbuch: Matthias Glasner
Kamera: Jakub Bejnarowicz
Schnitt: Heike Gnida
Musik: Lorenz Dangel
Verleih: Wild Bunch
Darsteller: Lars Eidinger, Corinna Harfouch, Saskia Rosendahl, Ronald Zehrfeld, Lilith Stangenberg, Anna Bederke, Robert Gwisdek
Kinostart: 25.04.2024

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