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Three Thousand Years Of Longing

Verhandlungen mit dem Erzähl-Geist

Die Literaturwissenschaftlerin Alithea (Tilda Swinton) forscht über Mythen in der Populärkultur. Auf einer Konferenz in Istanbul kauft sie ein antikes Fläschchen und der innewohnende Dschinn (Idris Elba) gewährt ihr drei Wünsche. Doch zunächst erzählt der Dschinn aus seinem Leben.

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Als Regisseur des besten Actionfilms aller Zeiten, MAD MAX: FURY ROAD, darf George Miller alles machen, was er will. Miller ist 77 und dreht einen Film über das Erzählen, obwohl die Welt Nägel beißend auf seinen nächsten Actionkracher FURIOSA wartet. Der ist aber erst für 2024 angekündigt. Erst einmal gibt es dieses Herzensprojekt, THREE THOUSAND YEARS OF LONGING.

Als George Miller jung war, las man Roland Barthes „Mythen des Alltags“ und Leslie Fiedlers Essay „Cross the Border – Close the Gap“, in dem der Erzähltheoretiker sich emphatisch für eine „Postmoderne“ einsetzte, die die Grenze zwischen „Hochkultur“ („high brow“) und Trivialkunst („low brow“) einriss. Die Nouvelle Vague hatte die ästhetischen Qualitäten der amerikanischen Gangsterfilme und der Hitchcock-Thriller entdeckt. Millers Filme waren Umsetzungen dieser Ideen, neo-mythische, auf die einfachsten Erzählstrukturen konzentrierte Geschichten wie die MAD MAX-Filme und Zaubermärchen wie THE WITCHES OF EASTWICK.

In THREE THOUSAND YEARS OF LONGING, nach einer Kurzgeschichte von A. S. Byatt., ist Tilda Swinton die Literaturwissenschaftlerin Alithea (lat. „aliter Thea“: die andere Göttin) mit dem Spezialgebiet der Narratologie, der Erforschung der Techniken des Erzählens. Auf einer Konferenz in Istanbul präsentiert sie diese Idee von Mythen, die sich in den Genres der Populärkultur erhalten. Im Hintergrund sind die Superhelden der Comicverlage Marvel und DC zu sehen, als Alithea eine Halluzination erfährt und sie ohnmächtig wird. In einem Istanbuler Basar kauft sie am nächsten Tag ein antikes Fläschchen, aus dem kurz darauf Idris Elba als Dschinn schlüpft, der Alithea drei Wünsche gewährt. Aber Alithea kennt sich mit Geschichten über Wünsche aus und bleibt vorsichtig. Zunächst will sie die Geschichte des Dschinns hören, der über Jahrtausende immer wieder in der Flasche eingesperrt war.

Der Dschinn ist eine Geschichtenmaschine, ein Literaturgeist, mit dem Alithea zuerst in der Sprache Homers spricht. Seine Geschichten über Verführung, Macht, Gewalt, Perversion, Liebe und Wissen handeln von der Macht der Erzählung selbst. Miller inszeniert diese Geschichten in sinnlich-buntem Kontrast zu dem generischen Hotelzimmer, in dem Elba und Swinton in weißen Bademänteln ihre Verhandlungen führen.

THREE THOUSAND YEARS OF LONGING ist ein beinahe akademischer Film, vielleicht sogar eine Art Apologie eines Künstlers, der sein Leben lang in „trivialen“ Genres gearbeitet hat: Action, Comedy, Melodrama. Der Film ist eine Liebeserklärung an das Geschichtenerzählen. Vielleicht sind die Geschichten symbolisch etwas zu überladen, schließlich müssen sie die wichtigsten Funktionen des Erzählens gleich mit demonstrieren, vielleicht hätte der Spannungsbogen doch ein wenig straffer gespannt werden können, aber das ist alles sehr schön und charmant anzusehen, Elba und Swinton sind wie immer liebenswert, die orientalistischen Geschichten sind hübsch altmodisch und bunt inszeniert. Was wird sich eine Literaturwissenschaftlerin von einem Geschichten-Geist wünschen? Genau, so ähnlich. Ist doch prima. Ein gutes Date-Movie.

Tom Dorow

Details

Originaltitel: Three Thousand Years of Longing
USA/Australien 2022, 108 min
Sprache: Englisch, Griechisch, Türkisch
Genre: Drama, Fantasy
Regie: George Miller
Drehbuch: George Miller
Kamera: John Seale
Schnitt: Margaret Sixel
Musik: Junkie XL
Verleih: Leonine
Darsteller: Tilda Swinton, Idris Elba, Alyla Browne, David Collins, Kaan Guldur
Kinostart: 01.09.2022

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