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Roter Himmel

Mieseprimel im Urlaub

ROTER HIMMEL ist eine Urlaubskomödie und ein Endzeitfilm, eine zugleich mitfühlende und wunderbar böse Reflexion über das Kunstmachen und eine ausgefeilte Mischung aus konkret und metaphorisch. Auf der diesjährigen Berlinale wurde er mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet.

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Niemand filmt dieses klare, graue Licht, das für Berlin und Umgebung typisch ist, so schön wie Christian Petzold und sein Kameramann Hans Fromm. Es ist ein sachliches Licht, ein Understatement-Licht, das alles zweckmäßig erhellt und keine Ausflüchte zulässt, aber auch kein Drama veranstaltet. Damit ist es auf eine spröde Art auch ein sehr zärtliches Licht.

Diesmal scheint es auf Mecklenburg-Vorpommern. Hierhin sind Leon (Thomas Schubert) und Felix (Langston Uibel) von Berlin aus unterwegs. Sie wollen ins Ferienhaus von Felix' Eltern unweit der Ostsee: Leon will dort an seinem Manuskript schreiben und Felix eine Mappe für die UdK zusammenstellen. Einige Kilometer vor ihrem Ziel bricht das Auto im Kiefernwald zusammen, und sie müssen das letzte Stück laufen. Als sie endlich schnaufend und schwer bepackt an ihrem Ziel ankommen, ist das Haus schon belegt: Felix' Mutter, hat es einer Freundin, Nadja (Paula Beer), zur Verfügung gestellt. Sie müssen wohl oder übel teilen. Leon ist not amused. Statt Ruhe und Einkehr zu finden, muss er sich nun ein Zimmer mit Felix teilen oder alternativ in der „Laube“ schlafen – eine offene Pergola am mückenverseuchten Waldrand. Seine Mieseprimeligkeit verfliegt auch die nächsten Tage nicht. Leon nennt Nadja nur „die Russin“, weigert sich, im Haus mit anzufassen, und als mit Nadjas Lover, dem Rettungsschwimmer Devid (Enno Trebs), noch eine weitere Person beim Abendessen auftaucht, fällt Leon durch ruppige, abwertende Fragen auf. Dass der ultra-entspannte Felix sich sofort mit den „Neuen“ anfreundet, macht ihn noch extra aggressiv.

Leon ist eine wunderbare, wenig sympathische, aber sehr lebensnahe Hauptfigur und ein lustiges Autoren-Alter Ego. Natürlich verliebt er sich in Nadja/Paula Beer, die hier wieder Petzolds souverän-mysteriöse Traumfrau spielt. Ihr vertraut er auch den Grund für seine aufgestaute Wut an: Sein Verleger wird ihn besuchen, und dem gefällt sein neues Buch nicht. Als der Verleger (Matthias Brandt) dann kommt, versteht er sich bestens mit Felix und Nadja, während er Leons Roman – den man tatsächlich teilweise zu hören bekommt, und er ist tatsächlich schrecklich – höflich und bestimmt zunichtemacht. Petzold inszeniert das „große Leon-Drama“ so überzeugend, unterhaltsam und alltäglich, dass man die Genreelemente, die ROTER HIMMEL durchziehen, lange gar nicht so bewusst wahrnimmt. Klar, in der Ferne brennt der trockene Wald, und die Löschhubschrauber donnern mit ohrenbetäubendem Getöse immer wieder über die Idylle, aber das ist dieser Tage im Sommer in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern ja oft so. Wenn ein Käuzchen im Wald ruft, dann sind das halt die alltäglichen Nachtgeräusche, die man im Wald so hört. Der Horror- und Katastrophenfilm, der ROTER HIMMEL auch ist, schleicht sich auf leisen Sohlen an, bis es zu spät ist.

Nicht nur Leon ist nämlich zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um seine Umwelt wahrzunehmen (und gute Literatur zu produzieren), seine Freunde und schließlich wir alle sind es im Prinzip auch. ROTER HIMMEL ist eine Urlaubskomödie und ein Endzeitfilm, eine zugleich mitfühlende und wunderbar böse Reflexion über das Kunstmachen und eine ausgefeilte und sehr gelungene Mischung aus konkret und metaphorisch. Auf der diesjährigen Berlinale wurde der Film mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet.

Hendrike Bake

Details

Originaltitel: Roter Himmel – Afire
Deutschland 2023, 103 min
Genre: Drama, Liebesfilm
Regie: Christian Petzold
Drehbuch: Christian Petzold
Kamera: Hans Fromm
Verleih: Piffl Medien
Darsteller: Paula Beer, Thomas Schubert, Matthias Brandt, Enno Trebs, Langston Uibel
Kinostart: 20.04.2023

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