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Interview

"Was es in der Realität gibt, sollte auch gezeigt werden."

Interview mit Alina Khan über JOYLAND

Alina Khan ist die erste trans Person, die eine Hauptrolle in einem pakistanischen Film spielt. JOYLAND, der Debütfilm von Saim Said war der erste pakistanische Film, der in Cannes seine Premiere feierte und dabei den Jurypreis „Un Certain Regard“ und die Queer Palm gewann. JOYLAND war auch Pakistans erster Film, der es in die Oscar-Shortlist in der Kategorie Bester Internationaler Film schaffte. In Pakistan wurde Joyland die zunächst erteilte Freigabe wieder entzogen und nur teilweise wiedergegeben, nachdem unter anderem die ausführende Produzentin und Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai für ein großes Medienecho sorgte.

Anna Hantelmann hat für Indiekino mit Alina Khan gesprochen.

INDIEKINO: Sie sind aus Lahore, Pakistan, wo JOYLAND auch gedreht wurde. Was für eine Erfahrung war es, die eigene Stadt einem internationalen Publikum zu präsentieren?

Alina Khan: Für mich war es wirklich eine große Freude und auch Ehre, dort zu drehen, wo ich geboren und aufgewachsen bin. Der Film zeigt meine Orte, meine Straßen, aber auch die Gesellschaft und die Atmosphäre. Das alles auf einer großen Leinwand wiederzufinden und mit der Welt zu teilen, ist einfach überwältigend. Ich hoffe, dass alle, die sich den Film anschauen, sehen, wie vielseitig Pakistan ist, unsere Gesellschaft und unsere Kultur. Und ich bin insbesondere dankbar, in diesem Film meine Community zeigen zu können – als ein Teil von Pakistan. Unsere trans Community hat nicht viele solcher Gelegenheiten.

Der Film hat in Cannes bei seiner Premiere zehnminütige Standing Ovations bekommen – neben seiner zweifachen Auszeichnung. Wie erinnern Sie sich an diese Zeit?

Das war wie im Märchen: Ich habe meinen Film das erste Mal in Cannes gesehen, das war einfach unwirklich. Ich habe mich auf der großen Leinwand erst gar nicht wiedererkannt und bin dann aus dem Staunen auch erst mal nicht mehr rausgekommen. Die Leute haben so lange geklatscht, so viel Lob ausgesprochen und Respekt – auch für mich und für meine Community. Aber ich wusste auch da: Es ist ein Märchen.

Inwiefern?

Ich war besorgt. Ich musste immer daran denken, welche Reaktionen der Film in Pakistan auslösen würde.

Und diese Reaktionen kamen dann auch schnell, der Film wurde kurz vor seiner Veröffentlichung in Pakistan kurzzeitig verboten und ist auch weiterhin nicht in allen Regionen freigegeben. Haben Sie daran gezweifelt, ob der Film Menschen in Pakistan auch wirklich erreichen würde?

Erst einmal war ich sehr enttäuscht von der Entscheidung, dass der Film verboten wurde. Meine Leute, meine Familie, meine Community – sie alle sollten mich und unsere Arbeit sehen können, auf mich und unser Team stolz sein können. Obwohl wir sehr viel Unterstützung bekommen haben, kam sie eben nicht von allen. Sogar auf der Straße haben mich Menschen beschimpft und bedroht, haben sich ganz offen gegen diesen Film und gegen meine Community gestellt.

Filme haben uns auch schon viel über verschiedene Liebesbeziehungen oder historische Streiks beigebracht.

Sicherlich eine belastende Situation. Wie sind sie damit umgegangen?

Ich habe mich eine Weile zu Hause eingesperrt. Nicht weil ich Angst hatte, sondern weil mir selbst Saim gesagt hat: Man weiß nie, wozu Menschen fähig sind. Und ich bin auch in den sozialen Medien abgetaucht, weil ich so viele Hasskommentare bekommen habe.

Ihre Figur Biba hält der repressiven Gesellschaft in gewisser Weise den Spiegel vor. Inwiefern mussten Sie aufpassen, einen gewissen Abstand zu Biba zu halten?

Es gibt solche Charaktere wie Biba in dem Film auch heute schon in Pakistan: trans Personen mit echten Ambitionen, die nach Freiheit streben, die Teil der Kultur, Teil der Gesellschaft sein wollen. Das ist real, das ist kein Fake – diese Menschen sind sichtbar in Pakistan. Aber diesen Spiegel will die Öffentlichkeit im Film nicht vorgehalten bekommen. Sie will nicht wissen, dass es schon Realität ist.

Nach den internationalen Erfolgen und auch den Rückschlägen, die Sie mit JOYLAND erlebt haben: Haben Sie Hoffnungen für die pakistanische Filmindustrie, die ja auch im letzten Jahrzehnt nach der Diktatur erst wieder aufgeblüht ist, und für die Rechte Ihrer Community?
Heute sind soziale Medien im Grunde die Plattform für die gesellschaftlichen Konflikte, wie sie im Film gezeigt werden. Aber natürlich kann ein so großer Film dabei helfen, mit Themen überhaupt in Berührung zu kommen. Was bedeutet trans sein? Das wissen viele Menschen gar nicht. Und Filme können dabei helfen, Filme haben uns auch schon viel über verschiedene Liebesbeziehungen oder historische Streiks beigebracht. Und solche Filme wie JOYLAND und Charaktere wie Biba müssen gezeigt werden. Was es in der Realität gibt, sollte auch gezeigt werden.

Das Gespräch führte Anna Hantelmann

Anna Hantelmann