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Interview

"Nichts macht mehr Freude als Actionszenen"

Interview mit Nida Manzoor zu POLITE SOCIETY

Nida Manzoor ist in London als Tochter pakistanisch-muslimischer Eltern aufgewachsen und arbeitete nach einigen Kurzfilmen zunächst fürs Fernsehen, wo sie mehrere Folgen der Kultserie „Dr. Who“ inszenierte. Die von ihr entwickelte Comedyserie „We Are Lady Parts“ handelte von fünf muslimischen jungen Frauen, die eine Punkband gründen, erzählt aus der Perspektive von Mikrobiologiedoktorandin Amina Hussain, die eigentlich auf Country steht und zunächst nur mitspielt, weil Bandmitglied Ayesha ihr dafür ein Date mit ihrem Bruder versprochen hat. Die Serie erschien in zwei Staffeln, und Manzoor schrieb die Songs der Band zusammen mit ihren Geschwistern selbst. Die Action-Coming-of-Age-Komödie POLITE SOCIETY, ist Manzoors erster Kinospielfilm. Patrick Heidmann hat sich mit Manzoor in London über POLITE SOCIETY, Actionkino und ihren Weg zur Regisseurin unterhalten.

INDIEKINO: Im Zentrum Ihres Films POLITE SOCIETY stehen die britisch-pakistanische Teenagerin Ria, die davon träumt, Stuntfrau zu werden, und ihre ältere Schwester Lena, deren Hochzeit sie verhindern will. Was hat Sie zu dieser Geschichte inspiriert?

Nida Manzoor: Ich habe selbst eine Schwester, und wir haben in unserer Jugend viel miteinander gekämpft. Im wortwörtlichen Sinne, körperlich, obwohl meine Schwester um einiges stärker war als ich. Wir hatten immer gemeinsam Karate-Training, und es gibt eine ganz spezifische Erinnerung an damals, die sich mir sehr eingebrannt hat und aus der der Film letztlich hervorgegangen ist.

Verraten Sie uns welche?

Klar, das war ein Kampf zwischen uns beiden in diesem Karate-Kurs, alle anderen Jugendlichen der Gruppe standen um uns herum und guckten zu. Wie meistens brachte meine Schwester mich zu Fall. Ich weiß noch, wie ich auf den Boden knallte. Der Schmerz in meinem Gesicht, als es da auf dem Holz lag, war das Eine. Aber schlimmer fand ich den Schmerz, den das Lachen der anderen Mädchen und Jungs in mir auslöste. Dieses Gefühl habe ich nie vergessen. Und es ließ mich nachdenken über die Gewaltsamkeit und Brutalität, die es bedeutet, ein Mädchen in der Pubertät zu sein. Der Körper verändert sich, und die psychologischen Verletzungen und Rückschläge treffen einen tief. Und genau diesen inneren Schmerz, den man als Teenager mit sich herumträgt, wollte ich im Film durch Action externalisieren. Die Hölle der Pubertät bietet sich doch für Genre-Kino geradezu an.

Woher kommt Ihre Liebe zum Actionkino?

Mich haben vor allem die Filme geprägt, die ich früher geguckt habe. Allen voran die von Jackie Chan, dessen Action so unglaublich musikalisch war. Mich hat das damals schon beeindruckt, welchen Rhythmus seine Stunts hatten. Und wie er seine Umgebung, die Locations, Sets und Requisiten miteinbezog. Ich wurde durch die RUSH HOUR-Filme zu seinem Fan und habe dann schnell auch seine älteren Filme entdeckt, POLICE STORY und andere Achtziger-Produktionen aus Hongkong. Dass bei Jackie Chan die Action fast immer Hand in Hand mit Humor ging, hat mich natürlich ebenso beeinflusst.

Vor zehn Jahren wäre POLITE SOCIETY vermutlich zu einem Desaster geworden.

Hatten Sie gleich diese Art von Kino im Sinn, als Sie während Ihres Politikstudiums begannen, sich fürs Filmemachen zu interessieren? Viele Regisseur*innen fangen ja erst einmal mit kleinen Familiendramen oder Ähnlichem an.

Meine Idee war eigentlich von Beginn an, den Bogen zwischen diesen beiden Polen zu schlagen. Kleine, intime Geschichten, also ein Kino der Emotionen, das aber eben kombiniert wird mit großer Action. Schon mein zweiter Kurzfilm war ein Actionfilm. Ich fand immer, dass wir Frauen in diesem Genre viel zu wenig vorkommen, vor wie hinter der Kamera. Dabei gibt es keinen Grund, Weiblichkeit und Frausein nicht auch mittels Action auszuloten.

Besagtes Studium der Politikwissenschaften haben Sie erfolgreich abgeschlossen. Was hat Sie dann doch den Weg Richtung Film einschlagen lassen?

Den Wunsch dazu gab es schon deutlich früher, aber ich brauchte eine Weile, bis ich ihm nachgab. Meine Eltern hielten nichts von der Idee, dass ich Regisseurin werde, denn sie sahen niemanden wie mich in dieser Branche. Es gab praktisch keine Vorbilder. Also sagte ich ihnen, dass ich Anwältin werde, da schien es eine gewisse Jobsicherheit zu geben. Aber als ich dann mit meinem Studium fertig war, setzte die Panik ein, denn ich wusste, dass ich eigentlich viel lieber Filme drehen will.

Was ja auch leichter gesagt als getan ist …

Ich brauchte auch eine Weile, bis ich das Selbstvertrauen hatte, den Schritt in diese Branche zu wagen. Mit Jobs an Filmsets ging es los, später arbeitete ich als Autorin an Drehbüchern, irgendwann durfte ich zum ersten Mal Regie führen bei kleineren britischen Sitcom-Produktionen. Der Knoten platzte vor ein paar Jahren, als ich zum ersten Mal bei der erfolgreichen Kultserie „Doctor Who“ eine Episode inszenieren durfte. Da merkte ich, dass ich das kann, auch mit einer echt großen Crew. Als kurz darauf auch meine erste eigene Serie „We Are Lady Parts“ Realität wurde, war das ein wichtiger Schritt auf dem Weg, meine Handschrift und Stimme als Geschichtenerzählerin zu finden. Danach wusste ich, dass ich bereit bin, mit POLITE SOCIETY meinen ersten Kinofilm zu inszenieren.

Die Idee für das Projekt hatten Sie schon zu Beginn Ihrer Karriere. War es im Nachhinein ein Segen, dass Ihnen damals Produktionsfirmen und Studios erst einmal absagten?

Das würde ich definitiv unterschreiben. Denn wenn ich diese ersten Drehbuchfassungen lese, dann sehe ich darin nur noch das Geschreibsel einer Durchgeknallten (lacht). Weder ich noch das Skript waren damals schon so weit. Klar, der Ehrgeiz war genauso da wie die Leidenschaft fürs Kino. Aber eben noch nicht die endlosen Stunden des Schreibens und Überarbeitens, die Diskussionen mit Dramaturg*innen und Produzent*innen. All die Erfahrungen, die ich dann zehn Jahre lang als Autorin und Regisseurin sammeln durfte, waren nötig, um wirklich zu verstehen, wie man eine Story formt, so dass das Publikum ihr mit Begeisterung folgt. Vor zehn Jahren wäre POLITE SOCIETY vermutlich zu einem Desaster geworden.

Ich weiß bis heute, was ich damals zum Mittagessen hatte, als mir das British Film Institute absagte

Gleichzeitig müssen all die Absagen damals für Sie eine schmerzhafte Erfahrung gewesen sein.

Absolut niederschmetternd, keine Frage. Das hat sich mir auch alles sehr eingebrannt. Ich weiß bis heute, was ich damals zum Mittagessen hatte, als mir das British Film Institute absagte. Es nagte sehr an meinem Selbstbewusstsein, ständig in Meetings zu hören, dass die Leute nicht verstehen, was ich mir mit diesem Film vorstellte. Gerade auch, weil ich bei diesem Traum nicht die bedingungslose Unterstützung meiner Familie hatte. Mehr als einmal war ich bereit, das Projekt für immer zu begraben. Aber mein wunderbarer Produzent Olivier Kaempfer glaubte unverdrossen an die Geschichte und war sich immer sicher, dass wir eines Tages zurückblicken und über die Absagen lachen würden.

Dass Kaempfer mehr Optimismus hatte als Sie, ist wahrscheinlich bezeichnend. Denn sich nicht unterkriegen zu lassen und auf neue Chancen zu hoffen, ist ein Privileg, das sich vor allem weiße Männer leisten können. Sie als Frau und PoC werden mutmaßlich bei jeder Absage hinterfragt haben, ob ein Nein an Ihrem Geschlecht oder Ihrer Hautfarbe lag, nicht wahr?

Über die Jahre sammeln sich einige Diskriminierungserfahrungen an, und natürlich internalisiert man das bis zu dem Maß, dass man irgendwann glaubt, gar nicht die Berechtigung zu haben, dem Traum vom eigenen Film nachzugehen. Selbst heute ertappe ich mich manchmal noch bei dem Gedanken: Gehöre ich hier überhaupt hin? Was damals besonders schwierig war, war die Art und Weise, wie diese Meetings abliefen. Ich hatte es meistens mit einer Generation neuer Manager zu tun, kaum älter als ich. Die meinten, sich beweisen zu müssen, und übten deswegen harte Kritik, mit Worten, die recht vernichtend waren. Ich hätte die Absagen viel besser verkraftet, wenn sie trotzdem mit einer gewissen Ermutigung einhergegangen wären. Denn so verhärtete sich dieses Gefühl, das eben vor allem Frauen und People of Color kennen, nämlich dass man glaubt, nur diese eine Chance zu haben. Jemand wie Robert Zemeckis, einer meiner Lieblingsregisseure, durfte ein paar Flops drehen, bevor der Durchbruch gelang. Aber wir fühlen den Druck, es gleich beim ersten Mal schaffen zu müssen. Und zwar nicht nur für uns selbst, sondern auch für andere wie uns, denen unser Scheitern auch wieder Steine in den Weg legen würde.

Wie viel hatte der Erfolg Ihrer Serie „We Are Lady Parts“ mit der Entstehung des Films zu tun?

Als ich so weit war, die Serie zu drehen, hatte ich POLITE SOCIETY gedanklich zwar nicht ad acta gelegt, aber war doch recht sicher, dass zumindest dieser Film vielleicht für immer ein Wunschtraum bleiben wird. Doch dann fragte mich Tim Bevan, der mit seiner Firma an der Serie beteiligt war, ob ich nicht vielleicht auch ein Kinoprojekt habe, also zeigte ich ihm das Drehbuch. Nach der Lektüre sagte er etwas zu mir, was ich noch nie gehört hatte: „Mach‘ die Sache noch verrückter, geh‘ noch einen Schritt weiter als du dich im ersten Moment trauen würdest.“ Nachdem es früher immer hieß, die Geschichte sei zu schräg, zu laut, zu viel, war das das ermutigendste Feedback, das ich je bekommen habe. Das war für mich der Startschuss, meinen Traum von einer albernen Actionkomödie endlich Wirklichkeit werden zu lassen.

War es ungewohnt, dann tatsächlich Actionszenen und Stunts inszenieren zu müssen?

Im Kleinen hatte ich schon ein paar Erfahrungen sammeln dürfen, sei es bei Kurzfilmen oder bei „Doctor Who“. Spätestens nach diesem Film jetzt kann ich sagen: Nichts macht mir mehr Freude als Actionszenen. Denn sie erfordern von mir als Regisseurin, mal kurz auf die Bremse zu treten. Man muss sicherstellen, dass alles gefahrlos über die Bühne gehen kann und man gleichzeitig sehr genau überlegt hat, aus welchem Winkel was gefilmt werden muss. Das erfordert eine Präzision des Filmemachens, die bei anderen Szenen manchmal erst im Schnitt einsetzt. Abgesehen davon war es mir ein Fest, mit all den Stuntleuten, Choreograf*innen und Martial Arts-Expert*innen zusammenzuarbeiten und auszutüfteln, was alles möglich ist. Ich fühlte mich wie ein Kind in einem Süßwaren-Laden. In der Lage zu sein, einer Bewegung die Referenz zu erweisen, die mich als 11-jährige in THE MATRIX umgehauen hatte, war einfach fantastisch.

Es ist wirklich etwas Besonderes, solche Kampfszenen mit jungen Frauen zu sehen, die wahlweise Schuluniformen oder traditionelle pakistanische Festtagsgewänder tragen.

Das hat was, nicht wahr? Einfach weil wir es nicht gewohnt sind. Genauso wie es schon ein sehr besonderer Anblick ist, wie ein Mädchen immer und immer zu Fall gebracht wird, aber jedes Mal wieder aufsteht. Dieses Gefühl, eigentlich gar keine andere Wahl zu haben, als wieder aufzustehen, selbst wenn man weiß, dass der nächste Schlag ins Gesicht folgen wird, empfinde ich als sehr stimmiges Bild für das Dasein eines pubertierenden Mädchens.

Bei „We Are Lady Parts“ gab es teilweise Kritik, weil nicht jedem Ihre unkonventionelle Darstellung junger muslimischer Frauen gefiel. Haben Sie sich darüber bei POLITE SOCIETY Gedanken gemacht?

Nicht wirklich, denn ich empfinde es nicht als meine Aufgabe, mir darüber Gedanken zu machen. Außerdem war die wichtigste Lektion bei der Serie, dass man nie alle glücklich machen kann. Ich empfand diese Erkenntnis als sehr befreiend. Seither mache ich mich frei von Erwartungen, habe keine wirkliche Angst mehr vor den Reaktionen anderer und folge einfach meinem inneren Kompass.

Das Gespräch führte Patrick Heidmann