Interview
„Man muss als Geschichtenerzähler so spezifisch und präzise wie möglich sein.“
Interview mit Viggo Mortensen über THE DEAD DON’T HURT
Der dänisch-amerikanische Schauspieler Viggo Mortensen (*20. Oktober 1958, New York) ist inzwischen vor allem als Aragorn aus Peter Jacksons DER HERR DER RINGE-Trilogie bekannt. Seine umfangreiche Filmografie umfasst aber auch Filme von Peter Weir (DER EINZIGE ZEUGE), Jane Campion (PORTRAIT OF A LADY), Gus van Sant (PSYCHO) und David Cronenberg (A HISTORY OF VIOLENCE, EASTERN PROMISES, A DANGEROUS METHOD und CRIMES OF THE FUTURE). Für THE GREEN BOOK und CAPTAIN FANTASTIC erhielt Mortensen Oscar-Nominierungen. Mit FALLING drehte er 2020 seinen ersten Film als Regisseur, eine Geschichte über einen verbitterten, bigotten Witwer, der gezwungen ist, in das Haus seines schwulen Sohnes und dessen Kleinfamilie zu ziehen.
Patrick Heidmann hat sich mit Viggo Mortensen über seine zweite Regiearbeit, den Western THE DEAD DON’T HURT unterhalten.
INDIEKINO: Mr. Mortensen, Western wie Ihr neuer Film THE DEAD DON’T HURT sind heutzutage vor allem etwas für Liebhaber, hat man oft den Eindruck. Was verbinden Sie mit dem Genre?
Viggo Mortensen: Ich komme noch aus einer Generation, wo Western keinen Seltenheitswert hatten. Als ich als Junge anfing, bewusst Filme zu gucken, so mit vier oder fünf Jahren, kamen sie noch regelmäßig ins Kino, und die eine oder andere Westernserie im Fernsehen gab es auch. Damals war ich ein großer Fan dieser Geschichten, nicht zuletzt der Action wegen. Erst als Erwachsener habe ich gemerkt, dass die meisten der Filme eigentlich ziemlich schlecht waren. Wenn man genau hinsieht, erkennt man, dass höchstens 5% aller Western gut erzählt sind, visuell überzeugen und auch wirklich etwas zu sagen haben.
Worauf kam es Ihnen dann also an, wenn Sie nun dem Genre mit einem eigenen Film Tribut zollen?
Meine Absicht war es, einen Film zu drehen, der sich vor dem verneigt, was die besten dieser klassischen Western ausmachte. Mir war wichtig, dass die Landschaft einen großen Raum einnimmt, und dass sich sowohl die Zeit als auch der Ort der Geschichte historisch korrekt anfühlen. Bis hin zur Sprache übrigens. Ein anderer Aspekt, dem ich treu bleiben wollte, war die Kommunikation zwischen den Figuren, die im Western ja nicht unbedingt über allzu viele Worte stattfindet. All diese Bestandteile wollte ich in meinem Film haben – und trotzdem mindestens eine Sache ganz anders machen.
Sie meinen den Fokus auf die weibliche, von Vicky Krieps gespielte Hauptfigur?
Genau, denn Frauen im Zentrum sind in klassischen Western ja doch eher unüblich. In diesem Fall kommt dazu, dass der Mann an ihrer Seite irgendwann für mehrere Jahre in den Krieg zieht, aber wir ihm mit der Geschichte nicht folgen, sondern die ganze Zeit bei ihr bleiben. Mich interessierte, wie es einer Frau geht, wenn der Mann in ihrem Leben in den Krieg zieht und sie auf sich allein gestellt ist, denn davon erzählen Western und Kriegsfilme praktisch nie. Western spielen traditionell in dieser Zeit, in der die Grenzen der Zivilisation verschoben wurden und die Menschen sich auf unerforschtes Terrain begaben. Vivienne, wie unsere Protagonistin heißt, macht genau das auch noch im übertragenen Sinne. Sie begibt sich innerhalb dieser wilden, gesetzlosen Welt doppelt auf unbekanntes Terrain, denn plötzlich muss sie sich als Frau dort eine ganz eigene Existenz aufbauen.
Die Frontier wurde damals bevölkert von Menschen aus der ganzen Welt, und Sie erwähnten eben im Kontext der Authentizität die Sprache. Warum war es Ihnen so wichtig, dass Ihre Figuren z.B. mit sehr unterschiedlichen Akzenten sprechen?
Ich habe immer schon die Meinung vertreten, dass man als Geschichtenerzähler so spezifisch und präzise wie möglich sein muss, um eine möglichst universelle Wirkung zu haben. Man muss glauben, dass die Figuren echte Menschen sind – und der amerikanische Westen war im 19. Jahrhundert nun einmal ein einziger Schmelztiegel. Die Siedler kamen von den britischen Inseln, aus Europa, China, Kanada. Ich wollte auf keinen Fall, dass sie sich, wie in den meisten Western, alle anhören, als stammten sie aus Kaliforniern oder Texas. Deswegen klingt der von mir gespielte Holger nun nicht nur wie jemand aus Dänemark, sondern bringt auch eine recht dänische Schüchternheit und den trockenen Humor mit. Und deswegen eignete sich Vicky nicht nur irgendeinen französischen Akzent an, sondern konkret einen, der sie klingen lässt, als käme sie aus Quebec.
Wie würden Sie Vivienne und ihre Beziehung zu Holger beschreiben?
Mir war nicht daran gelegen, die Frau als eine Art Superheldin zu zeigen, die hypermodern ihr Ding durchzieht und sich mit einem Gewehr in der Hand an all den Männern rächt, die ihr übel mitspielen. Das hätte vielleicht die niederen Instinkte des Publikums befriedigt, wäre mir aber viel zu schlicht gewesen. Vivienne ist eine starke, unabhängige Frau, die sehr genau weiß, wer sie ist und was sie will. Aber sie ist eben auch eine Frau ihrer Zeit. Und sie hat sich Holger als Partner ausgesucht, weil der genauso unabhängig, eigensinnig und unperfekt ist wie sie. Beide sind stur, aber auch sehr ehrlich miteinander, woraus sich ein großes Vertrauen entwickelt. Darüber hinaus ist die Geschichte ihrer Beziehung auch eine über die Möglichkeit der Vergebung, die man in Western ja sonst eher nicht sieht. Es ist nicht leicht zu vergeben, weder sich selbst noch einer anderen Person. Aber für mich ist das der Schlüssel zu einer Beziehung, die Bestand hat: Man muss über seinen Schatten springen können, sich anpassen und mit der anderen Person weiterentwickeln. Solche Herausforderungen machen ein Paar zu einer starken Einheit und einen Film dramatisch interessant.
Letztlich war es interessanterweise eher beruhigend, am Set in mehreren Funktionen tätig zu sein.
Wo wir Vicky Krieps nun schon ein paar Mal erwähnt haben: Wie kamen Sie überhaupt darauf, sie zu besetzen?
Ich hatte sie in einigen Filmen gesehen, in denen sie mich sehr beeindruckte. BERGMAN ISLAND zum Beispiel, aber vor allem Paul Thomas Andersons AM SEIDENEN FADEN. Da zeigte sie eine Stärke, nach der ich für meine Geschichte suchte. Ich hatte den Eindruck, eine Frau zu sehen, die ihre eigenen Entscheidungen trifft. Jemand, der nicht bloß eine zweidimensionale Filmfigur ist, sondern eine komplexe Frau mit echtem Innenleben auf die Leinwand brachte. Und man sah sofort, dass sie eine fantastische Schauspielerin ist, die eine Figur auch jenseits der Dialoge, im Ungesagten, zum Leben erwecken kann. Abgesehen davon suchte ich natürlich nach jemandem, der so aussah, als könnte er in der damaligen Zeit gelebt haben. Das gilt nicht für alle Schauspielerinnen, schließlich nehmen heutzutage viele kosmetische Eingriffe an ihren Gesichtern vor oder sind zu eitel, um sich so ungeschminkt zu zeigen, wie Vicky es nun tut.
Sie haben die Figur aber nicht für Krieps geschrieben, oder doch?
Das nicht, aber sie war auf jeden Fall mit Abstand meine erste Wahl. Es war mein großes Glück, dass sie das Drehbuch dann nicht nur las, sondern es auch mochte. Ich kann mir meinen Film beim besten Willen nicht ohne sie vorstellen, und das ist eigentlich das Beste, was man über eine Schauspielerin oder einen Schauspieler sagen kann.
Ohne sich selbst in der männlichen Hauptrolle konnten Sie sich THE DEAD DON’T HURT dagegen sehr wohl vorstellen. Eigentlich wollten Sie sich nämlich auf Drehbuch, Regie und Produktion beschränken, nicht wahr?
Das war schon bei meinem ersten Film FALLING der Plan, bevor ich da dann doch auch kurzfristig selbst die Hauptrolle übernahm. Dieses Mal wollte ich wirklich meine komplette Aufmerksamkeit den anderen Schauspielerinnen und Schauspielern widmen. Doch der Kollege, den ich als Holger besetzt hatte, sprang in der Pre-Production ab, und alle Alternativen, die ich im Hinterkopf hatte, waren so kurzfristig nicht verfügbar. Meine Mitproduzenten schlugen vor, die Dreharbeiten um ein Jahr zu verschieben. Doch ich hatte nun einmal Vicky und keine Garantie, dass sie im Jahr darauf auch wieder Zeit hat. Also justierte ich das Drehbuch, machte Holger älter und übernahm die Rolle selbst. Was Vicky zum Glück auch recht war.
Empfinden Sie diese Mehrfachbelastung als Stress?
Letztlich war es interessanterweise eher beruhigend, am Set in mehreren Funktionen tätig zu sein. Wenn ich ausschließlich als Schauspieler tätig bin, bin ich jedenfalls deutlich nervöser und hinterfrage viel mehr, was ich tue. Da kann es passieren, dass ich mich in einer Szene viel zu wenig auf mein Gegenüber einlasse, weil ich so sehr damit beschäftigt bin darüber nachzudenken, was ich selbst tue. Hier war ich gedanklich oft viel mehr der Regisseur und fokussierte mich deswegen auf Vicky. Was mein eigenes Spiel angeht, war ich dadurch erstaunlich entspannt.
Sie haben vorhin schon das Ungesagte erwähnt, die Kommunikation durch Schweigen. Worin liegt für Sie als Filmemacher die Kraft der Stille?
Für mich trägt sie entscheidend dazu bei, die Figuren menschlicher und wahrhaftiger zu machen. Holger zum Beispiel ist kein Mann der vielen Worte. Aber nicht aus Prinzip, wie Clint Eastwood als Nobody, der sich bewusst undurchdringlich und schweigsam gegeben hat, um nur hin und wieder ein paar wohlgewählte Worte zu sprechen. Sondern weil er unbeholfen ist und nie das Richtige zu sagen weiß. Was auch Vivienne versteht, weswegen sie selbst oft nicht das Gespräch sucht, sondern man sich lieber schweigend versteht. Aber das funktioniert natürlich nur mit jemandem, der so talentiert ist wie Vicky. Bei ihr passiert und überträgt sich ganz viel, wenn sie nicht spricht. Nur dadurch konnte ich mir als Regisseur so lange Momente ohne Dialog erlauben.
Das Gespräch führte Patrick Heidmann
Patrick Heidmann