Interview
„Ich habe Lust, in meiner Arbeit persönlicher zu werden“
Interview mit Nicolas Cage über DREAM SCENARIO
INDIEKINO: Mr. Cage, was reizte Sie an DREAM SCENARIO?
Zunächst sprach mich einfach der Titel an. Die Kombination der Worte Dream und Scenario – die ich schon einzeln beide sehr gerne mag – hatte einfach was. Traumszenario, das klingt doch gut, oder? Darüber hinaus war es vor allem so, dass mich das Drehbuch von Kristoffer Borgli wirklich umgehauen hat. Ich würde sagen, dass es eines der fünf besten Drehbücher ist, die ich in den vergangenen 42 Jahren gelesen habe.
Welche anderen Drehbücher gehören denn in diese Top 5?
Das verrate ich Ihnen gerne: ARIZONA JUNIOR, LEAVING LAS VEGAS, VAMPIRE’S KISS und ADAPTION.
Spürten Sie einen besonderen Bezug zu dem Biologie-Professor Paul Matthews, den Sie in DREAM SCENARIO spielen?
Auf den ersten Blick habe ich mit diesem Mann natürlich nichts gemein. Ich sehe nicht aus wie er, klinge nicht wie er, bewege mich nicht wie er. All das haben wir bewusst eingesetzt, um eine Figur zu erschaffen, die mit mir wirklich gar nichts zu tun hat. Allerdings spürte ich deutlich, dass ich die Lebenserfahrung mitbrachte, die für diese Rolle hilfreich war. Vor etwa 15 Jahren war ich der vermutlich erste Schauspieler, der als Meme viral ging …
Ach ja?
Unter dem Titel „Nicolas Cage Losing His Shit“ hatte jemand Szenen aus meinen Filmen zusammengeschnitten, in denen ich ausraste. Völlig ohne Kontext, ohne Erklärung, warum es in diesen Geschichten so weit kam. Ich stieß da eines Tages drauf, als ich den Fehler machte, mich selbst zu googlen, und fand das fürchterlich. Und die Sache wurde immer größer, plötzlich gab es T-Shirts und Poster davon, ich konnte nichts machen, um das zu stoppen. Verglichen mit dem, was nun in DREAM SCENARIO passiert, war das natürlich eher harmlos. Aber ich spürte doch eine Verbindung zu diesem Mann, der plötzlich in den Träumen all dieser fremden Menschen auftaucht und keine Kontrolle darüber hat.
Sie hätten die Rolle aber sicher auch ohne diese Nähe verkörpern können, oder?
Ja, klar. Aber ich merke seit ein paar Jahren, dass ich Lust darauf habe, in meiner Arbeit persönlicher zu werden. PIG war auch schon so ein Film, wo ich eigene Erfahrungen mit in die Rolle gebracht und dann quasi ein paar Gänge höher geschaltet habe. Genauso wie nun bei DREAM SCENARIO. Das fühlt sich dann weniger nach Schauspielerei an, sondern sehr viel wahrhaftiger. Dem kann ich aktuell einiges abgewinnen.
Ich bin ein großer Verfechter der Devise: Das Publikum hat immer Recht.
Weil es auch, um mal das alte Klischee aus der Schublade zu holen, etwas Therapeutisches hat?
Ich würde es als kathartisch bezeichnen. Ich nehme etwas, das tief in mir steckt und verwandle es nicht in etwas Destruktives, sondern nutze es konstruktiv, um Neues zu schaffen.
Ihr eigener Vater war Literatur-Professor. Ließ sich darüber ein persönlicher Bogen schlagen zum Protagonisten in DREAM SCENARIO?
Es war mir wichtig, Paul als einen wirklich guten Professor zu verkörpern. Als jemanden, der seinen Beruf liebt, und dem es unbedingt darum geht, eine Verbindung zu den Studierenden aufzubauen. Denn so kannte ich das von meinem Vater. Der liebte die jungen Leute, denen er etwas beibringen durfte. Sie zu ermutigen, ihre Vorstellungskraft zu befeuern und ihnen dabei zu helfen, ihr Potential auszuschöpfen. Andere Aspekte des Professoren-Berufs waren für meinen Vater allerdings weniger ungetrübt, und auch das kommt im Film ja ein wenig ins Spiel. Der Konkurrenzkampf in der akademischen Welt ist enorm, dagegen kann der Profisport fast abstinken. Jeder versucht den nächsten zu übertrumpfen, das Gerangel um die Posten an den Unis ist wirklich gnadenlos.
Je „viraler“ Paul im Film geht, desto mehr geraten seine Karriere und sein Familienleben in Gefahr. Sehen Sie DREAM SCENARIO auch als Kommentar zum Thema Cancel Culture?
Ich habe das Skript eher als Analyse des Umgangs mit Ruhm und öffentlicher Aufmerksamkeit gelesen. Und auch als Blick auf eine Art kollektiver Bewusstseinsstörung. Moderne Technologien und soziale Netzwerke sorgen dafür, dass unser aller Gedanken irgendwie immer sofort in die gleiche Richtung gelenkt werden. Mit rasender Geschwindigkeit entstehen da gedankliche Massenbewegungen. Aber vielleicht hat das auch mit Cancel Culture zu tun? Wissen Sie, ich bin ein großer Verfechter der Devise: das Publikum hat immer Recht. Was auch immer jemand also in dieser Geschichte erkennt, ist für ihn oder sie richtig. Und wenn es einem Film gelingt, Konversationen anzustoßen, dann ist das doch fantastisch.
Lassen Sie uns noch kurz über Ihren Regisseur sprechen, den Norweger Kristoffer Borgli, der zuvor mit dem Film SICK OF MYSELF in Cannes für Aufsehen gesorgt hatte …
Ich sah mir zunächst seine Kurzfilme an, und war vor allem von einem namens EER begeistert, in dem Kris auch selbst mitspielt. Sowohl ihn als Schauspieler als auch seinen Blick als Regisseur fand ich verdammt stark. Und SICK OF MYSELF haute mich dann richtig um. Das war neu und frisch und wirklich anders, als das meiste, was man sonst zu sehen bekommt. Insgesamt habe ich das Gefühl, dass in Norwegen und überhaupt in Europa aktuell viel Spannendes passiert im Kino, und ich bin überzeugt davon, dass das auch viel damit zu tun hat, wie junge Kreative dort mit staatlicher Unterstützung aufgebaut werden. Gleichzeitig ist Kris natürlich auch einfach ein Ausnahmetalent. Dieses Selbstbewusstsein und das Vertrauen in die eigene Vision muss man erst einmal haben. Mir sind solche Regisseure – die im Übrigen viel zu selten sind – die liebsten: die genau wissen, was sie wollen, und das dann nicht nur mit Dominanz, sondern in echt kollaborativer Arbeit umsetzen. Das war, gestatten Sie mir das Wortspiel, bei DREAM SCENARIO wirklich ein Traum.
Aufgezeichnet von Patrick Heidmann.
Patrick Heidmann