Feature, Interview
„Hätte Cate Blanchett die Rolle nicht angenommen, hätte ich den Film nicht gedreht“
Interview mit Todd Field zu TÁR
Todd Field wurde 1964 in Pomono, Kalifornien geboren und ist in Portland, Oregon aufgewachsen, wo er als Kind zusammen mit Kurt Russell Baseball spielte. Nach einer Ausbildung als Musiker und Schauspieler arbeitete er als zunächst als Schauspieler, später auch als Produzent, Komponist, Autor und Regisseur. Gleich sein erster Film IN THE BEDROOM (2001), ein intensives Familiendrama mit Sissy Spacek, Tom Wilkinson und Marisa Tomei wurde für fünf Oscars nominiert, und vor allem unter Filmkritiker*innen galt Field als Independent-Nachwuchshoffnung. Auch in seinem zweiten Film LITTLE CHILDREN (2006), die Geschichte einer Affäre nach einem Roman von Tom Perotta, inszenierte Field die Nuancen in Beziehungen unter Stress. Dann folgten 16 (!) Jahre Stille – bzw. unrealisierte Projekte mit u.a. Joan Didion, Jonathan Franzen und Cormack McCarthy – bevor Field 2022 mit TÀR wieder auf der Bildfläche erschien. Der Film ist aktuell für sieben Oscars nominiert und Cate Blanchett hat bereits zahlreiche Darstellerinnenpreise erhalten, darunter den Golden Globe und den Silbernen Löwen in Venedig.
Patrick Heidmann hat sich mit Todd Field unterhalten.
INDIEKINO: TÁR ist die Geschichte einer Dirigentin, an der Spitze eines der besten Orchester der Welt. Haben Sie einen Bezug zur Welt der klassischen Musik?
Todd Field: Eigentlich gar nicht. Mich interessierte zunächst einmal weniger diese Welt als die Figur darin. Sie stammt aus einer ganz anderen, letztlich kulturlosen Umgebung, doch die frühe Begegnung mit der Klassik löst etwas in ihr aus. Sie beginnt, mit aller Macht diesem Traum nachzujagen und wird exzellent, ja ikonisch. Sie kommt ganz oben an und ist in der Lage, Magie zu kreieren. Aber sie steht eben auch an der Spitze einer höchst bürokratischen, hierarchischen Organisation, deren Macht sie bedienen und verwalten muss. Diese Balance zwischen dem kapriziösen Künstlertum und dem machtpolitischen Manövrieren reizte mich – und die Welt der klassischen Musik stellte dafür eine ergiebige Kulisse dar.
Haben Sie eine weibliche Protagonistin gewählt, weil es in der Klassik-Szene noch ein langer Weg zur Gleichberechtigung ist?
Man könnte unseren Film als Science-Fiction bezeichnen, so unrealistisch erscheint es zumindest bei den großen Orchestern in Mitteleuropa bis heute, dass es eine Frau so weit nach oben schafft wie Lydia Tár. Aber eine Frau war die Figur schon bevor ich mich für dieses Setting entschied. Einen Mann in dieser Position hätte ich nicht so interessant gefunden, auch nicht, wenn der Film in der Welt des Profisports oder in Hollywood spielen würde.
In TÁR werden viele Themen und Debatten mindestens gestreift, die seit einiger Zeit viel diskutiert werden, von #MeToo über Identitätspolitik bis hin zur Cancel Culture. Sehen Sie den Film auch als Kommentar zum derzeitigen Zustand unserer Gesellschaft?
Nein, ich finde es im Gegenteil schwierig, wenn man auf Teufel komm raus einen Film drehen will, der brandaktuelle Debatten abbilden soll. Damit schießt man sich schnell in den Fuß. Ehrlich gesagt könnte TÁR über weite Teile auch ein Historienfilm sein, der irgendwann im 20. Jahrhundert spielt. Denn wovon ich erzähle, sind Machtstrukturen und die Korrumpierung durch Erfolg. Und was damit einhergeht, ist heute im Großen und Ganzen nicht anders als früher.
Geht es im Film um ein deutsches Orchester, weil die die elitärsten der Welt sind?
Für Dirigent*innen sind die großen Orchester in Deutschland und Österreich zumindest so etwas wie der Mount Everest ihrer Branche. Dort liegt der Kanon der klassischen Musik begründet, die Traditionen reichen zurück bis zu Wagner, Mahler und Co. Die Zahl der Menschen, die es dorthin schaffen können, ist sehr überschaubar. Und für TÁR suchte ich obendrein natürlich auch nach dem größtmöglichen Gegensatz zu ihrer bescheidenen Herkunft aus dem amerikanischen Niemandsland von Staten Island.
Für all das, wofür Lydia Tár in ihrer Karriere 25 Jahre brauchte, hatte Cate ein Jahr Zeit.
Stimmt es, dass Sie schon beim Schreiben Cate Blanchett im Kopf hatten?
Ja, und hätte sie die Rolle nicht angenommen, hätte ich den Film nicht gedreht. Normalerweise schreibe ich Drehbücher nicht für bestimmte Schauspieler, aber als ich zu Beginn der Pandemie 2020 mit TÁR anfing, war sie einfach schon in meinem Kopf. Dabei kannte ich sie nur flüchtig, wir hatten uns einmal für ein Joan Didion-Projekt getroffen, aus dem nichts wurde. Und es war nicht so, dass ich so arrogant war zu glauben, dass sie die Rolle auf jeden Fall annehmen würde. Wenn nicht, wäre das auch okay gewesen. Dann hätte ich eben einmal mehr ein Skript für die Schublade geschrieben.
Sie haben Ihr dann für diese Rolle einiges abverlangt, nicht wahr?
Das meiste hat sie sich selbst abverlangt. Ich bin noch nie jemandem begegnet, der an sich selbst derart hohe Ansprüche in der Arbeit anlegt. Man muss ein ziemlicher Verrenkungskünstler sein, um das hinzukriegen, was sie alles macht. Sie musste Deutsch lernen und Klavier spielen, sich den passenden amerikanischen Akzent zulegen und vor allem enorm viel Hintergrundwissen draufschaffen, was diesen Beruf und die klassische Musik angeht. Ganz zu schweigen davon, dass sie natürlich ein ganzes Orchester dirigieren und nebenbei auch noch in die psychologischen Abgründe dieser Figur hinabsteigen musste. Für all das, wofür Lydia Tár in ihrer Karriere 25 Jahre brauchte, hatte Cate ein Jahr Zeit. Das war – selbst angesichts toller Coaches und Lehrmeisterinnen an ihrer Seite – eine unglaubliche Leistung.
Sie selbst mussten aber vermutlich auch einiges lernen, oder?
Stimmt, und ich hatte dafür zum Glück einen wunderbaren Lehrer. John Mauceri begann seine Dirigentenkarriere als Assistent von Leonard Bernstein. Er war der Einzige außer sich selbst, den Bernstein zu Lebzeiten sein Orchester dirigieren ließ. Später leitete Mauceri auch lange das Hollywood Bowl Orchestra und schrieb tolle Bücher. Einen besseren Coach hätte ich mir nicht wünschen können.
Würden Sie eigentlich sagen, dass es Parallelen gibt zwischen der Arbeit eines Dirigenten und der eines Regisseurs?
Absolut, sehr viele sogar. Beiden Berufen wohnt eine ähnliche Machtstruktur inne, ganz gleich, ob man die für real oder behauptet hält. Auch die Art und Weise, wie ein Regisseur mit seiner Crew kommuniziert ist der Arbeit in einem Orchester nicht unähnlich. Und die Schauspieler spielen eben, und sind genau wie Musiker empfindsame Künstler. In beiden Fällen hat man es mit sehr vielen Mitarbeitern zu tun und muss ein riesiges Projekt mit enorm vielen beweglichen Einzelteilen stemmen. Meistens sind alle müde, und natürlich hat man es mit dutzenden individuellen Persönlichkeiten zu tun, die auch mal schlechte Tage haben. Einen Film zu drehen oder eine Sinfonie auf die Bühne zu bringen ist beides Teamwork, aber eben keine Demokratie. Deswegen gehören gewisse Führungsqualitäten und ein Gespür für Management in beiden Fällen dazu.
Als Regisseur einfach irgendetwas gegen Geld zu drehen, hinter dem ich nicht mit Leidenschaft stehe – das könnte ich nicht.
Sie erwähnten vorhin Drehbücher, die Sie nie verwirklichen konnten. Das kam in den zurückliegenden 16 Jahren seit Ihrem letzten Film IN THE BEDROOM häufiger vor, oder?
Ja, und das ist nie leicht. An dem Klischee, dass die Dinge, die Geschichten, die man schreibt, so etwas wie seine Kinder sind, ist halt doch etwas dran, und es nie ein schönes Gefühl, wenn andere Leute die eigenen Kinder nicht so hübsch und großartig findet wie man selbst. Aber irgendwann macht man auch seinen Frieden damit. Zumindest habe ich für mich irgendwann verstanden, dass der Prozess des Schreibens, als das künstlerische Schöpfen manchmal befriedigender und erfüllender ist als das Endergebnis. Deswegen bereue ich nichts. Ich habe Werbeclips inszeniert, so kam ich nicht aus der Übung und blieb technisch auf der Höhe. Und ich habe als Autor Auftragsarbeiten angenommen, um die Kassen zu füllen. Warum auch nicht, das ist ja keine Schande. Nur als Regisseur einfach irgendetwas gegen Geld zu drehen, hinter dem ich nicht mit Leidenschaft stehe – das könnte ich nicht. Dann warte ich lieber 16 Jahre, bis wieder ein eigenes Projekt klappt.
Das Gespräch führte Patrick Heidmann
Patrick Heidmann