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Interview

„Man muss vorpreschen, bis man Gehör findet.“

Interview mit Peaches (Merrill Nisker) über TEACHES OF PEACHES

1995 zog Merrill Beth Nisker (*1966 in Toronto), die vorher im Folk-Trio Mermaids und mit Chilly Gonzalez in der Rockband The Shits gespielt hatte, aus Kanada ins Nachwende-Berlin und veröffentlichte als Peaches ihr erstes Solo-Album „The Teaches of Peaches“ mit ihrem immer noch bekanntesten Song „Fuck the Pain Away“. Der Dokumentarfilm TEACHES OF PEACHES begleitet sie auf ihrer Anniversary-Tournee 2022 und stellt den aktuellen Aufnahmen Eindrücke aus ihrer Anfangszeit entgegen.

Pamela Jahn hat sich mit Peaches über TEACHES OF PEACHES unterhalten.

INDIEKINO: So eine Jubiläumstour ist an sich schon ein enormer Kraftakt. Wie kam es zu der Idee, zusätzlich einen Film zu drehen?
Peaches: Ich wurde von einem Produzenten gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, einen Dokumentarfilm über meine Karriere zu machen. Aber allein der Gedanke daran hat mich ziemlich erschlagen. Damals steckten wir gerade in der Anfangsphase der Tournee-Planung. Also haben wir beschlossen, dass es das Beste wäre, sich darauf zu konzentrieren. Dadurch hatte ich nicht ständig das Gefühl, es geht hier nur um mich, sondern auch um die Musik.

Sie haben, wie man in der Dokumentation sieht, auch in der Frühphase Ihrer Karriere schon viel gefilmt, wenn Sie unterwegs waren. Warum?
Weil es eine Möglichkeit für mich war, zu verstehen, was in mir vorging. Ich fand das alles ziemlich überwältigend, was damals passierte. Die Kamera war mein Zeuge. Entweder hatte ich jemanden dabei, der für mich filmte. Oder wenn ich allein war, hatte ich einen Camcorder, und der war sozusagen mein bester Freund.

Wenn Sie heute auf die junge Musikerin von damals zurückblicken, wen sehen Sie dann?
Ich sehe eine Person, die eine Menge Ideen hat, aber nicht genug Selbstbewusstsein. Eine junge Frau, die lernen muss, dass nicht jeder das Gleiche will, und die trotzdem nicht lockerlässt. Denn nur wenn man für das kämpft, wofür man brennt, kommt man damit weiter. So hat es sich damals zumindest angefühlt, wie ein großer Kampf. Es gab Leute, die waren inspiriert, von dem, was ich machte, andere waren schockiert, wieder andere sind komplett ausgeflippt. Die ersten Live-Shows waren extrem nervenaufreibend. Niemand verließ den Raum, aber ich konnte sehen, wie sie die Arme verschränkten oder mich einfach nur anstarrten. Seltsam. Ich habe damals viel über Menschen gelernt. Und es hat mich darin bestärkt, meine Ideen weiterzuverfolgen. Ich fing an zu verstehen, dass man, wenn man bestimmte Ansichten hat, einfach vorpreschen muss, bis man Gehör findet. Sonst geht man in der Masse unter.

War es das erste Mal, dass Sie sich diese alten Aufnahmen jetzt wieder angesehen haben?
Ja, aber ich kann mich auch so noch ganz gut erinnern, wie das damals war, als ich angefangen habe. Es ist schon komisch, ich habe mir immer vorgestellt, dass, wenn es jemals einen Dokumentarfilm über mich geben sollte, der schockierendste Teil meine Musik und meine Bühnenauftritte sein würden. Aber für Leute, die mich nur als Peaches kennen, so wie ich heute bin, die schauen sich diese alten Videos an und denken: Wer ist das denn? Was ist da los?

Sie meinen die Zeit, als Sie in der Kindertagesstätte gearbeitet haben?
Ja, als 20-Jährige, die keine Ahnung hatte, wie sie im Leben vorankommen sollte, fing ich an, mir selbst Akustikgitarre beizubringen. Gleichzeitig nahm ich einen Teilzeitjob in einer Kindertagesstätte an. Es war total langweilig, aber irgendwann wurde mir klar, dass ich mit meinen Melodien eine Geschichte erzählen konnte, und die Kids spielten sie nach. Daraus entwickelte ich langsam eine spezielle Methode, die es den Kindern ermöglichte, Rollenspiele zu meiner Musik zu spielen. Ich habe das zehn Jahre lang gemacht. Daraus habe ich schließlich meinen eigenen kreativen Prozess entwickelt, während ich den Kindern ein Gefühl für Musik und Theater vermittelte.

Was haben Sie von den Kids gelernt?
Sie waren das brutalste Publikum, das ich jemals hatte. Es ist ganz einfach: Wenn Kindern etwas nicht gefällt, fangen sie an zu reden. Das habe ich mir damals sehr zu Herzen genommen. Langsam begann ich zu begreifen, wie man die Aufmerksamkeit aufrechterhält, aber auch, wie man ehrlich mit Kritik umgeht. Außerdem hat mir die Klarheit und Deutlichkeit, die man im Kindertheater und beim Geschichtenerzählen für Kids findet, immer sehr imponiert.

Hat die Theaterarbeit mit den Kindern auch Ihre Lust an der Verkleidung geweckt?
Das war eine längerfristige Entwicklung. Es war ursprünglich nicht unbedingt etwas, was mich sonderlich interessiert hat. Natürlich sollte meine Bühnen-Show von Anfang an einen bestimmten narrativen Bogen haben. Aber irgendwann fingen die Leute an, mir Kostüme zu schenken oder mir Kleidungsstücke auf die Bühne zu werfen. Und ich dachte mir, oh, vielleicht könnte ich auch mit Kostümen was machen. Bis dahin bestand mein Bühnen-Outfit einfach aus ein paar Shorts, die ein bisschen zu eng waren und „Cameltoe“ zeigten, was die meisten Leute irritierte. Und ich habe meine Schamhaare gezeigt. Aber es dauerte eine Weile, bis ich Gefallen daran fand, mich zu verkleiden, die Absurdität zu genießen, die eigentlich sehr gut zu meiner Musik passt.

Ich habe das Gefühl, dass es in Berlin eher eine abrupte Verschiebung gab, eine Art unbewusstes Erdbeben, mit dessen Auswirkungen die Menschen jetzt leben müssen.

Ganz am Anfang des Dokumentarfilms erklären Sie, dass Sie über Nina Simone zu Ihrem Künstlernamen Peaches gekommen sind. Was bedeutet sie für Sie?
Sie ist ein Symbol für absolute Leidenschaft und Kompromisslosigkeit, ein unglaubliches Talent.

War sie in Ihrer Jugend Ihr größtes Idol?
Auf jeden Fall. Allein wie sie in dem Song „Four Women“ das Wort „Peaches“ sagt. Ich hatte das Gefühl, dass sie nur für mich singt, nicht wissend, dass das Wort an sich noch so viele andere Konnotationen hat, die zu der Musik passen, die ich mag. Das Saftige, das Sexuelle, die Farbe Pink, an all das habe ich in dem Moment noch gar nicht gedacht.

Inwiefern bedingen Ihre Musik und Ihr Image sich gegenseitig?
Sie sind jeweils komplett auf mich persönlich bezogen. Sie sind insofern miteinander verbunden, als dass alles, was ich physisch oder performativ mache, mit der Musik beginnt. Ich würde mir niemals einfach so ein Kostüm anziehen. Die Musik ist der einzige Grund, warum Kostüme für mich interessant und wichtig sind. Es geht mir nicht darum, Mode oder irgendeinen Trend zu kreieren. Damit habe ich nichts am Hut. Ich wüsste gar nicht, wie das geht.

Gab es in Bezug auf den Dokumentarfilm bestimme Dinge, die Sie unbedingt vermeiden wollten?
Nein, denn wir hatten ja beschlossen, dass es eine reine Tour-Dokumentation werden sollte. Ich hatte nicht vor, einen emotionalen Zusammenbruch zu inszenieren, wie man es oft in anderen Künstler-Dokumentationen sieht. Philipp Fussenegger und Judy Landkammer, das Regie-Duo hinter dem Film, und ich, wir waren da komplett auf einer Wellenlänge. Und sie haben sich auch wirklich für meine Meinung interessiert. Ich habe mir den Film sehr früh angesehen, und er hat sich sehr verändert. Sie haben nicht einfach gesagt, tut uns leid, aber so haben wir uns das vorgestellt und so bleibt es jetzt. Im Gegenteil. Sie waren sehr offen für alles.

Wer hat sich mehr verändert in all den Jahren, in denen Sie jetzt schon in Berlin leben. Die Stadt oder Sie?
Das ist eine interessante Frage. Ich denke, wir beide haben uns sehr verändert. Und ich denke, wir beide kämpfen mit den modernen Veränderungen. Ich habe das Gefühl, dass es in Berlin eher eine abrupte Verschiebung gab, eine Art unbewusstes Erdbeben, mit dessen Auswirkungen die Menschen jetzt leben müssen. Aber vielleicht ist das auch unfair. Ich bin nicht Berlin, und ich bin keine gebürtige Berlinerin. Ich weiß nur, dass das, was ich am Anfang so an Berlin geliebt habe, dass hier alles so entspannt war und offen für Möglichkeiten, heute nicht mehr existiert. Aber damals passte es einfach sehr gut zu dem, was ich machen wollte und zu dem Tempo, das ich gehen wollte.

Was, glauben Sie, ist das Geheimnis hinter „The Teaches of Peaches“? Warum funktioniert das Album nach so vielen Jahren immer noch so gut?
Es ist einfach so. Das Geheimnis liegt darin, die Musik wirklich zu fühlen. Egal wann, egal wo.

Wie haben Sie selbst die Jubiläumstour erlebt? Hat sich Ihre Beziehung zu Ihren Fans im Laufe der Jahre verändert?
Ich bin älter geworden, und sie mit mir. Gleichzeitig gibt es viele neue Fans, junge Leute, von denen ich nie erwartet hätte, dass sie meine Musik anspricht. Das ist schon toll. Vor allem, wenn ich an all die anderen Künstler*innen denke, die gerade aufregende Musik produzieren. Aber ich versuche einfach, weiter mein Ding zu machen, mir selbst und meinem Publikum gegenüber treu zu bleiben. Und hoffentlich kann ich so noch eine ganze Weile weiterarbeiten. Adrenalin ist die Energie, die mich antreibt. Mehr brauche ich nicht.

Das Gespräch führte Pamela Jahn.

Pamela Jahn