Interview
"Dass sie gut war, wusste sie immer"
Interview mit Margarethe von Trotta zu INGEBORG BACHMANN - REISE IN DIE WÜSTE
Margarethe von Trotta (*1942) begann ihre Filmkarriere als Schauspielerin, unter anderem in Filmen von Rainer Werner Fassbinder, Herbert Achternbusch und Volker Schlöndorff, bevor sie 1975 bei DIE VERLORENE EHRE DER KATHARINA BLUM gemeinsam mit Schlöndorff, mit dem sie von 1971 bis 1991 verheiratet war, Regie führte. Zu ihren bekanntesten Arbeiten gehören die DIE BLEIERNE ZEIT (1981) der sich lose an den Biografien der Schwestern Christiane und Gudrun Ensslin orientierte, ROSA LUXEMBURG (1986) mit Barbara Sukowa in der Hauptrolle, ROSENSTRASSE (2003), in dem es um mehrere Mutter-Töchter-Beziehungen geht, und HANNAH ARENDT (2013). Viele ihrer Filme widmen sich dem Leben und Erleben von Frauen, oft geht es um Freundinnen und Schwestern oder Porträts historischer Persönlichkeiten. Pamela Jahn hat sich für INDIEKINO mit Margarethe von Trotta über INGEBORG BACHMANN unterhalten, der seine Premiere im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale feierte.
INDIEKINO: Frau von Trotta, Sie haben sich in Ihren Filmen bisher vor allem mit starken Frauenfreundschaften auseinandergesetzt. Bei Ingeborg Bachmann ist das anders.
Margarethe von Trotta: Sie hat schon Freundschaften gehabt, sehr viele sogar, nur haben ihre Freunde voneinander nichts gewusst. Das ist das Eigenartige bei ihr. Nach ihrem Tod erschienen viele Frauen, auch Männer, in Rom, und jede oder jeder für sich dachte, er oder sie wäre der oder die einzige Vertraute gewesen. Alle waren sie erstaunt, dass so viele da waren. Aber das war Teil ihrer Rätselhaftigkeit, dass sie die Menschen voneinander ferngehalten hat.
Wollte sie ihre Freunde vielleicht nicht teilen?
Ich glaube, sie wollte wirklich für jeden Menschen ein Geheimnis bleiben.
Mit Künstlerpaaren kennen Sie sich aus. Sie waren selbst zwanzig Jahre lang mit dem Regisseur Volker Schlöndorff verheiratet. Was hat Sie speziell an der Beziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch fasziniert?
Es stimmt, ich hätte auch einen Film über ihre Beziehung mit Paul Celan machen können, oder über die Liebesaffäre mit Hans Magnus Enzensberger. Aber ich fand gerade die Mitte ihres Lebens spannend, wo sie Frisch kennenlernt, weil sie da noch einmal versucht, etwas zu erreichen, was sie sich wünscht, und gleichzeitig aber weiß, dass sie es nicht leben kann. Diese Sehnsucht, die Liebe zu Frisch zu halten, obwohl es gegen ihr eigenes Gesetz war, das fand ich aufregender als alles andere.
Hatten Sie Einsicht in den Briefwechsel zwischen Frisch und Bachmann, der im vergangenen Jahr die Sensation des Literaturherbstes war?
Leider nein. Ich habe alle Hebel in Bewegung gesetzt, um beim Suhrkamp Verlag Einblick in die Fahnen zu bekommen. Ich hatte sogar viele Stimmen, die mir geholfen hätten, unter anderem ihr Bruder, Heinz Bachmann. Aber es hat alles nichts genützt. Der Verlagsleiter wollte den Coup für sich. Damit hatte er entsprechend Erfolg.
Sie wollte ein Star sein wie die Callas
Gab es Personen oder Quellen, mit deren Hilfe Sie sozusagen den Wahrheitsgehalt des Drehbuchs gegenüber dem Briefwechsel prüfen konnten?
Ich habe einen Freund, Thomas Sparr, der auch Schriftsteller ist. Er hat ein Buch über Celans Gedicht „Todesfuge“ geschrieben. Zudem war er viele Jahre Lektor beim Suhrkamp Verlag. Er hatte die Briefe gelesen, lange bevor sie veröffentlicht wurden. Ihm habe ich das Drehbuch geschickt und gesagt: „Bitte schau dir das an. Steht irgendetwas ganz Falsches drin?“ Er meinte nein, also habe ich mich darauf verlassen.
Wie sind Sie an die schwierige Aufgabe herangegangen, für den Film eine eigene Sprache zu finden?
Ich habe zunächst einmal versucht, viele Texte von ihr zu übernehmen, sie mit ihren eigenen Worten sprechen zu lassen, wenn Sie so wollen. Und auch Frisch liest ihr einmal aus „Stiller“ vor. Ich wollte, dass man sieht, auf wie vielen Ebenen der intellektuelle Austausch zwischen ihnen stattfand. Aber vor allem war mir wichtig, Bachmann ihre eigene Stimme zu geben. Dass man sie reden hört, bei der Vergabe des Hörspielpreises, oder bei einer Lesung vor Publikum, in der sie eine Stelle aus „Das dreißigste Jahr“ vorliest. Oder in dem Interview, in dem sie erklärt, was ihr Gedichte bedeuten und warum sie keine mehr schreiben will. Die Dialoge im Film sind natürlich reine Fiktion, aber ich hoffe trotzdem, eine Sprache gefunden zu haben, die möglichst authentisch ist.
Welche Entdeckungen haben Sie für sich im Laufe Ihrer Recherche gemacht?
Es gibt zum Beispiel ein Foto von Frisch in Rom, das hat mich umgeworfen. Da ist er auf einmal ganz in Weiß gekleidet und hat solche Dandy Schuhe an, wie man es von ihm nie erwartet hätte. Und ich denke, das war ihr Wunsch, dass er sich ein bisschen „italienischer“ kleidet. Im Film gibt es die Szene, in der er sagt, er ziehe sich gleich wieder um, weil er sich so nicht erträgt. Aber in Wirklichkeit, glaube ich, hat es ihm auch gefallen, denn er steht auf dem Bild ganz selbstzufrieden da.
Ingeborg Bachmann dagegen war immer perfekt gekleidet.
Ja, sie war eben ein Star. Und hat sich auch so verhalten und gekleidet. Einmal ging sie mit Hans Werner Henze zur Premiere von „Norma“ in der Mailänder Oper. Maria Callas hat gesungen. Und mit ihr hat sie sich identifiziert. Sie wollte ein Star sein wie die Callas.
Stimmt es, dass es keine Fotos von Bachmann und Frisch gemeinsam gibt?
Ich glaube, vor kurzem ist irgendwo eins aufgetaucht. Das ist das Einzige. Es gibt viele Fotos, auf denen sie mit Hans Werner Henze zu sehen ist, und auch mit Celan. Aber ich vermute, und ihr Bruder tut das auch, dass Bachmann, nachdem sie von Frisch verlassen wurde, so gelitten hat, dass sie die Fotos zerstört hat.
Es ist toll zu sehen, wie genussvoll Ingeborg Bachmann ihre eigenen beruflichen Erfolge zu würdigen wusste, anstatt sich hinter falscher Bescheidenheit zu verstecken.
Ja, darüber war Frisch auch erstaunt. Sie hatte kein Problem damit zu sagen: „Ja, ich bin die Beste.“ Obwohl sie ein so zerbrechlicher Mensch war. Aber sie konnte noch so geschwächt sein durch ihre Krankheit, durch die Tabletten ... dass sie gut war, wusste sie immer. Und dieser Widerspruch in der Selbstwahrnehmung ist natürlich faszinierend, dass man einerseits so viel leiden und andererseits so überzeugt sein kann. Das heißt, als Künstlerin überzeugt, als Frau vielleicht nicht.
Im Grunde hätte sie auch meine ältere Schwester sein können.
Können Sie das persönlich nachvollziehen?
In gewisser Weise schon, nur dass Ingeborg Bachmann von Anfang an in Bezug auf ihr künstlerisches Schaffen viel überzeugter war als ich. Das bin ich bis heute noch nicht. Schon allein deswegen, weil ich zu Beginn meiner Karriere nur verteufelt worden bin, gerade in Berlin. Wogegen die Männer der Gruppe 47 Ingeborg Bachmann regelrecht zu Füssen lagen. Deswegen wollte ich den Film auch zuerst nicht auf der Berlinale zeigen. Carlo Chatrian musste einige Überzeugungsarbeit leisten.
Verteufelt, inwiefern?
1983 lief mein Film HELLER WAHN im Berlinale Wettbewerb. Damals schrieb die Presse, dass man mir nur noch Geld geben würde, weil ich keinen Schwanz hätte. Dieser Satz verfolgt mich bis heute. Auch meine beiden Hauptdarstellerinnen, Hanna Schygulla und Angela Winkler, wurden angegriffen. Die eine wurde als verklemmter Gepäckständer und die andere als rostige Fahrradklingel bezeichnet. So hat man damals Schauspielerinnen behandelt, nur weil sie intelligente Freundinnen gespielt haben in einem Film, den eine Frau gemacht hat. Seitdem ist - Gott sei Dank - viel geschehen.
Fühlen Sie sich in der Hinsicht als Pionierin des weiblichen Films?
Ja, irgendwie schon.
Auch Ingeborg Bachmann war Ihrer Zeit voraus. Wann sind Sie eigentlich zum ersten Mal mit ihrem Werk in Berührung gekommen?
Ich habe schon als junge Frau ihre Gedichte gelesen und mich dadurch mit ihr verbunden gefühlt. Es gab auch Sprachaufnahmen, und sie hat auf eine sehr schwebende, fast unsichere Weise geredet. Das war auch ein Grund, warum sie mich so beschäftigt hat, weil ich mich zu der Zeit selbst nicht unbedingt sicher gefühlt habe. Und plötzlich war da eine Frau, die so tolle Gedichte schrieb und auf eine zögerliche und fast unsichere Weise vortrug, diese ihre hoch dichterische Sprache. Georg Trakl war mir zwar sogar noch ein bisschen näher in meiner Jugend, aber rückblickend war sie die wichtigste Frauenstimme. Im Grunde hätte sie auch meine ältere Schwester sein können. Wir waren vom Alter her gar nicht so weit voneinander entfernt.
Wenn man Ihre Filme kennt, weiß man, dass Ingeborg Bachmann indirekt auch in früheren Werken von Ihnen immer mal aufgetaucht ist. Wie kam es dazu?
Es stimmt, ich habe sie mehrmals zitiert, einmal in DIE BLEIERNE ZEIT, den ich 1981 gedreht habe. Damals sind meine Drehbücher noch veröffentlicht worden, das macht leider heute kein Verlag mehr. Das Motto des Films war ein Satz von ihr: „Trauern, das wird, zwischen vielerlei Tun, ein einsames Geschäft.“ Und in meinem Film L’AFRICANA, den ich in Italien gedreht habe, hat Sami Frey einen Teil aus ihrem Gedicht „Erklär mir Liebe“ gelesen.
Sind sie sich auch einmal persönlich begegnet?
Einmal haben wir uns bei Hans Werner Henze getroffen, das war 1972, kurz vor ihrem Tod. Sie war sehr zurückhaltend und schien mir geschwächt. Man wusste damals nicht, wie schlecht es ihr wirklich ging, aber ich habe es gespürt.
Mit Vicky Krieps haben Sie eine fantastische Schauspielerin für die Rolle gefunden. Worauf kam es Ihnen bei der Darstellung an?
Es war mir wichtig den Kontrast zu zeigen, dass Bachmann sehr streng reden konnte, und auf einmal bricht dieses Lächeln auf. Das wirft einen um. Es gibt ein Fernsehinterview mit ihr, in dem sie sehr ernst über das Unverständnis der Männer redet, und man merkt richtig, wie der Moderator immer mehr zusammenzuckt. Auf einmal lächelt sie und sagt: „Wussten sie das nicht?“ Der Moment ist umwerfend. Diesen Widerspruch habe ich gesucht, und Vicky Krieps hat dieses plötzliche, strahlende Lächeln.
In der letzten Einstellung, wenn die Kamera auf ihrem Gesicht ruht, kommt der ganze Film zusammen. Haben Sie das selbst auch so empfunden?
Ja. Ich wollte, dass wir dunkel anfangen, mit dem Traum, in dem sie durch einen dunklen Flur zum Telefon geht. Sowohl den Traum als auch das, was sie dem Psychoanalytiker erzählt, habe ich dem Buch „Male oscuro“ entnommen, das auch erst 2020, also lange nach ihrem Tod, erschienen ist. Darin sind ihre persönlichen Aufzeichnungen aus der Zeit der Krankheit zusammengetragen. Darunter auch die Träume, die sie für den Therapeuten aufschreiben musste. Und ein Traum war eben, dass Frisch sie anruft und nur lacht, sie sozusagen verlacht. Das fand ich ein so starkes Bild, dass ich damit anfangen wollte, in der Dunkelheit und Düsternis. Und am Ende steht das Licht. Das kann man banal finden, aber für mich war es ein schönes Symbol.
Das Gespräch führte Pamela Jahn
Pamela Jahn