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Feature, Interview

„Dann kommt der nächste Morgen, man paddelt wieder los“

Interview mit Max Gleschinski über ALASKA

ALASKA, Max Gleschinskis Spielfilm über eine mysteriöse, verschlossene Frau, die über die Seenplatte paddelt, spielt wie sein Debüt KAHLSCHLAG in Mecklenburg-Vorpommern. Der Film wurde 2023 auf dem Filmfestival Max Ophüls-Preis, das sich dem deutschsprachigen Nachwuchsfilm verschrieben hat, mit dem Preis für den besten Spielfilm ausgezeichnet.

INDIEKINO: Herr Gleschinski, Ihr Film vermittelt zunächst ein Gefühl, die eigentliche Geschichte entwickelt sich später. Wie würden Sie diese Stimmung zu Beginn am ehesten beschreiben?

Max Gleschinski:Das Tolle am Filmemachen ist ja, dass man nicht nur eine Geschichte erzählen kann. Für mich fing bei ALASKA alles mit dem Ort an. Dieses Gefühl, auf dem Wasser zu sein, das ganze Leben ist im Fluss. Es ist wie ein Gleiten, wie ein Dahinschweben irgendwie. Und diese Gleichmäßigkeit, diesen Schwebezustand, in dem sich die Figur befindet, den haben wir auch formal auszudrücken versucht. Einerseits gibt es diese großen Seen, und dazwischen liegen kleine Inseln der Zivilisation mit Campingplätzen, auf denen Leute vor ihren Zelten laut Musik hören und überall hässliche Langnese Schilder rumstehen. Über Nacht wird man dort zurückgeholt in die Realität, weil man auf andere Menschen trifft, die alle ihre eigenen Probleme und Geschichten haben. Aber dann kommt der nächste Morgen, man paddelt wieder los, ist wieder auf sich alleine zurückgeworfen. Und so geht es immer weiter.

Ihr Schauplatz ist die Mecklenburgische Seenplatte. Sie sind in Rostock aufgewachsen. Was verbinden Sie persönlich mit dem Ort?
Wir sind früher, als ich klein war, immer mit meiner Familie dort hingefahren, ein bis zweimal im Jahr. Wir haben Wasserwanderungen gemacht und sind von einem Campingplatz zum nächsten, das war an Pfingsten eine feste Instanz. Aber im deutschen Kino gab es den Ort bisher nicht, oder zumindest war er mir nicht so präsent. Und daraus ist dann die Idee für ALASKA entstanden.

Die Hauptfigur in Ihrem Film macht sich am Anfang mit Ihrem Kajak auf den Weg. Wer ist diese Kerstin? Was sucht sie? Was treibt sie an?
Eigentlich war die Figur zuerst männlich. Es war mein Kameramann Jean-Pierre Meyer-Gehrke, der mich dazu angeregt hat, in anderen Bahnen zu denken. Dann bin ich relativ schnell zu einer Frau Mitte 40 gelangt, weil meine Mutter sich zu der Zeit um meinen kranken Großvater gekümmert hat. Sie hat alles stehen und liegen lassen, ist viermal die Woche Tag und Nacht bei ihm gewesen. Mir hat das damals sehr imponiert. Gleichzeitig war mir bewusst, dass die Sachen, die ich da schreibe, in erster Linie Behauptungen sind, weil ich natürlich nicht weiß, wie das ist, ein Elternteil gepflegt zu haben und danach in ein Loch zu fallen, wie es mit Kerstin geschieht. Deshalb war ich total dankbar, dass ich mit Christina Grosse eine Schauspielerin gefunden habe, die Kerstins Situation und ihre Emotionen sehr gut nachempfinden konnte.

Welche Rolle spielt Kerstins Bruder Thomas für die Geschichte? Es scheint manchmal fast so, als fährt er seinen ganz eigenen Film.
Es ist gut, dass der Film durch die verschiedenen Figuren die Freiheit bekommen hat, sich zu entwickeln. Mich hat es selbst überrascht, wie sich mit der Perspektive auch jeweils die Tonalität ändert. Und mit Thomas kommt nach dieser ersten, eher elegischen Hälfte des Films plötzlich Zug in die Handlung. Auf einmal ist da jemand, der eine Aufgabe hat und ein klares Ziel. Daraus entwickelt sich fast eine konventionelle Erzählstruktur: Ein Mann kehrt an einen Ort seiner Kindheit zurück, um jemanden zu konfrontieren, aber eigentlich ist er derjenige, der angetrieben werden muss, weil er aus sich selbst heraus nichts mehr auf die Reihe kriegt. Das ist etwas, dass ich auch in meinem Umfeld oft beobachtet habe und was mich immer sehr bewegt hat, so eine Männerfigur, die ihre Energie verloren hat.

Was war für die Entwicklung der beiden Protagonistinnen am wichtigsten? Ist es Liebe oder Freundschaft, was zwischen ihnen entsteht?
Kerstin und Alima fliehen zueinander, zwischen ihnen entsteht ein zartes Band. Ich weiß nicht, ob das Liebe ist. In diesen wenigen Tagen unserer Erzählung verstehen und unterstützen sie sich, bieten sich gegenseitig Zuflucht und Trost. Wenn man sich zu lange im Kreis dreht, hilft es, sich mal kurz festzuhalten. Gleichzeitig wollten wir ihre Beziehung nicht als eine Art Erlösung darstellen.

Es würde mich stören, wenn meine Ostsozialisierung das Erste ist, was einem zu dem Film einfällt.

Sind Sie jemand, der aktiv den Austausch mit den Schauspielern sucht, um die Figuren zu entwickeln?
Total. Ich glaube, das ist die große Chance, vor allem, wenn man wie ich über Leute schreibt, die weiter entfernt von mir selbst sind. Ich bin immer dankbar, wenn die Schauspieler die Dialoge nochmal auf den Prüfstand stellen.

Hat Ihre Offenheit für den Prozess auch damit zu tun, dass Sie nicht den üblichen Weg über die Filmhochschule gegangen sind und sich das Handwerk selbst beigebracht haben?
Das kann ich schwer beurteilen, weil ich den Vergleich nicht habe. Aber es gibt natürlich auch Regisseure, die an der Filmschule waren und die trotzdem noch viel freier arbeiten als ich, teilweise ganz ohne Drehbuch. Ich denke, dass sich das nicht unbedingt im Weg stehen muss.

War das eine bewusste Entscheidung, nicht zu studieren, sondern lieber zu machen?
Nein, ich habe mich auch beworben. Aber es hat nicht geklappt, und nachdem ich bereits viele Kurzfilme gedreht hatte, war der Gedanke: Okay, wir versuchen es jetzt einfach mit einem Spielfilm. Danach sehen wir weiter. Dann habe ich den Anruf bekommen, dass KAHLSCHLAG bei den Hofer Filmtagen angenommen wurde. Dass wir dort den Hauptpreis gewonnen haben, war unser Türöffner in die Branche.

Finden Sie es problematisch, dass ein internationales Festival wie die Berlinale zukünftig auf die Sektion Perspektive Deutsches Kino verzichtet?

Ich fand es immer toll, dass sich ein großes Festival wie die Berlinale so eine nationale Auswahl gönnt. Aber ich habe es immer eher als Luxus empfunden, dass man dort deutsche Nachwuchsfilme präsentiert. Es war für mich nie der entscheidende Faktor, der die Berlinale ausgemacht hat. Als Signal finde ich es trotzdem schade, aber es bleibt abzuwarten, wie stark die Perspektive wirklich fehlen wird. Zum Glück gibt es andere wichtige Nachwuchsfestivals in Deutschland, wie in Hof und München oder den Max-Ophüls-Preis.

Beschreibt Ihr Film speziell eine ostdeutsche Lebenswelt? Oder stört es Sie eher, wenn auf den Osten immer noch so stark Bezug genommen wird?
Es würde mich stören, wenn es das Erste ist, was einem zu dem Film einfällt. Die Zeiten, in denen wir Filme noch in solche Schubladen gesteckt haben, sind meiner Meinung nach vorbei. Davon abgesehen finde ich es völlig in Ordnung, weil es zeigt, dass man spürt, wie ich sozialisiert bin. Aber es ist nichts, was ich forciere, das passiert automatisch.

Ich habe jetzt schon wieder große Lust auf Genre

In ihrem Debüt KAHLSCHLAG spielen Sie mit verschiedenen Genre-Elementen. Sind Sie ein Action-Fan?
Ich habe jetzt schon wieder große Lust auf Genre, obwohl ALASKA ja auch ein Film ist, der viel probiert, evoziert, und der nicht eindeutig ist. Manchmal wirkt Kerstin auf mich wie ein einsamer Cowboy, wenn sie mit ihrem Kajak am Campingplatz anlegt, zum Platzwart geht und erstmal Hallo sagt, so unter dem Motto: Ich bin jetzt in der Stadt. Das heißt, es gibt schon Elemente, die unweigerlich aus dem Genre kommen. Aber alles darüber hinaus, wäre in dem Fall zu viel gewesen.


In KAHLSCHLAG ging es um eine alte Freundschaft, die zerbricht. ALASKA beschreibt eine neue Freundschaft, die entsteht. Steckt da ein System dahinter?
Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Ich weiß nur, dass der nächste Film, den ich drehen werde, nicht in Mecklenburg-Vorpommern spielt. Ich wollte immer mal eine Trilogie machen, die sich dem sogenannten „Morbus Mecklenburg“ widmet, also diesem Defizit, dass man nicht in der Lage ist, über seine Probleme zu reden, und welche Konflikte daraus entstehen. Das ist zwar sicher kein rein regionales Problem, aber bei uns gibt es diesen Begriff, der auch in ALASKA vorkommt. Im Moment ist die Zeit aber noch nicht reif dafür.

Das Gespräch führte Pamela Jahn

Pamela Jahn