Neue Notiz
Mehr denn je
Licht am Fjord
Im Internet stößt die schwer kranke Hélène (Vicky Krieps) auf den norwegischen Blogger „Mister“, bei dem sie sich verstanden fühlt. Sie beschließt, nach Norwegen zu reisen.
MEHR DENN JE ist ein zutiefst romantischer Film, der der Filmerzählung vom selbstbestimmten, guten Leben eine Erzählung vom selbstbestimmten, „schönen“ Tod hinzufügt. Vicky Krieps spielt die 33-jährige Hélène, die an idiopathischer Lungenfibrose erkrankt ist, einer chronischen Erkrankung, bei der die Lungen langsam verhärten und die Betroffenen irgendwann ersticken. Die Ärztin hat eine Lungentransplantation in Aussicht gestellt, aber auch da sind die Aussichten nicht gut. Hélènes Freund Matthieu (Gaspar Ulliel in seiner letzten Rolle) klammert sich an diesen Rettungsanker, aber Hélène ist eigentlich schon woanders. In eindringlichen Szenen zwischen Krieps und Ulliel wird die Barriere deutlich, die sich zwischen ihnen aufgetan hat, einfach, weil sich ihr Ausblick auf das Leben nun fundamental unterscheidet. Besser verstanden fühlt sich Hélène bei dem norwegischen Blogger „Mister“ (Bjørn Floberg), der Bilder, Fotos und Notizen aus seinem Leben mit Krebs postet. Als sie das erste Mal miteinander telefonieren, sagt er einen Satz, der Hélènes Situation perfekt zu erfassen scheint „Die Lebenden verstehen die Sterbenden nicht“, und sie macht sich auf den Weg, um ihn in Norwegen zu besuchen. Mister ist anders als gedacht, aber die Fjorde, die Luft und die Ruhe verhelfen Hélène zu einer Art von Frieden, der ihr in Paris fehlte.
Emily Atef erzählt mit großer Genauigkeit. Krieps Darstellung lässt einen nie vergessen, dass fast jede Bewegung für Hélène eine Anstrengung bedeutet, zugleich spielt sie Hélène nicht als jemand, der leidet, sondern als jemand, der mit seiner Situation, Stück für Stück, umgeht. So findet Hélène zu Mister, indem sie eines Abends „Was tun, wenn man stirbt?“ googelt und nach mehreren Seiten mit kitschigen Selbsthilfe-Sonnenuntergängen auf seinen Blog stößt. In Norwegen ist sie dann mit ganz praktischen Dingen beschäftigt, dem Licht, das sie am Schlafen hindert, oder dem fehlenden Handy-Empfang. MEHR DENN JE fängt ein, wie raumgreifend einfachste Alltagsdinge – eine durchwachte Nacht, ein unbequemes Bett, ein Bad im Fjord – in Hélènes Situation werden, und wie weit entfernt die Welt, die Freunde, sogar Mathieu, der sie verzweifelt nach Paris zurückholen möchte, ihr scheinen. Irgendwann ist Hélène an dem Punkt, an dem sie gar nicht mehr in die Welt der Lebenden zurück will, oder kann, und der Film ist ganz auf ihrer Seite.
Originaltitel: Plus que jamais
Deutschland/ Frankreich/ Luxemburg/ Norwegen 2022, 123 min
Genre: Drama
Regie: Emily Atef
Drehbuch: Emily Atef, Lars Hubrich
Kamera: Yves Cape
Schnitt: Sandie Bompar, Hansjörg Weißbrich
Musik: Jon Balke
Verleih: Pandora Filmverleih
Darsteller: Gaspard Ulliel, Vicky Krieps, Bjørn Floberg
Kinostart: 01.12.2022
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