Magazin für unabhängiges Kino
Filmwecker
Filmnotiz

Neue Notiz

Luftkrieg – Die Naturgeschichte der Zerstörung

Klug choreografiert

In seinem vollständig aus Archivmaterial bestehendem Filmzeit Loznitsa den Luftkrieg als totalen Krieg, der auch aus Fließbandarbeit und Wagner-Konzerten für Fabrikarbeiter*innen besteht.

Mehr

Der Schriftsteller W.G. Sebald formulierte einmal die These, dass die deutsche Nachkriegsliteratur an der Aufgabe gescheitert sei, der Erfahrung des Luftkriegs eine künstlerische Form zu geben. Sergei Loznitsas vollständig aus Archivaufnahmen bestehender LUFTKRIEG ist eine direkte Antwort auf diese These.

Den Anfang bilden Szenen der Kultur des nationalsozialistischen Deutschlands: ein vollbesetztes Kranzlereck, eine Tanzveranstaltung, im Hintergrund flatternde Hakenkreuze - unheilvolle Risse in der harmlos vergnügten Fassade. Dann springt Loznitsa zur Zerstörung dieser Fassade und der gesamten Bausubstanz. Aus den Flugzeugen gefilmte nächtliche Bombardements geben einer Worthülse wie „schrecklich-schön“ einen neuen Inhalt. Die Schockstarre, die sich bei diesen Aufnahmen einstellt, ist jedoch nur der Ausgangspunkt für einen klug choreografierten Film. Loznitsa versucht keine Immersion durch Dauerbedröhnung, sondern zeigt den Luftkrieg als totalen Krieg, der auch aus Fließbandarbeit und Wagner-Konzerten für Fabrikarbeiter*innen besteht. Nach dem Bombenteppich folgen die Begutachtung zerstörter Städte, Schadensbegrenzung, Durchhalteparolen, Aufmunitionierung und Vergeltungsschläge. Oft zeigen nur die aus dem Schutt ragenden Architekturruinen oder die Symbole auf Flugzeugen, welche Seite gerade zerbombt wird. Dazwischen gibt es Zufallsfunde, wie die Skelette einer medizinischen Instituts aufgereiht auf der Straße oder eine Jesus-Statue aufgespießt auf einem Zaun.

LUFTKRIEG macht den Schrecken und die historische Bedeutung dieser Kriegsform nachvollziehbar. Die Aufbereitung des Archivmaterials durch gelegentliche Koloration, dessen aufwändige Nachvertonung und Musikuntermalung macht LUFTKRIEG zur überzeugenden künstlerischen Form für sein Thema: das KOYAANISQUATSI der Zerstörung.

Yorick Berta

Details

Originaltitel: The Natural History Of Destruction
Deutschland/Litauen/Niederlande 2022, 112 min
Genre: Dokumentarfilm
Regie: Sergei Loznitsa
Drehbuch: Sergei Loznitsa
Musik: Christiaan Verbeek
Verleih: Progress Filmverleih
FSK: 12
Kinostart: 16.03.2023

Website
IMDB

Vorführungen

Filter
Multiplexe anzeigen

ALLE ANGABEN OHNE GEWÄHR.
Die Inhalte dieser Webseite dürfen nicht gehandelt oder weitergegeben werden. Jede Vervielfältigung, Veröffentlichung oder andere Nutzung dieser Inhalte ist verboten, soweit die INDIEKINO BERLIN UG (haftungsbeschränkt) nicht ausdrücklich schriftlich ihr Einverständnis erklärt hat.