Magazin für unabhängiges Kino
Filmwecker
Filmnotiz

Neue Notiz

Killers Of The Flower Moon

Martin Scorseses Epos über die „Osage Indian Murders“

Martin Scorsese entfaltet ein Gesellschaftspanorama des Osage County zu Beginn des 20 Jahrhunderts, als weiße „Glücksritter“ alles daransetzen, den Osage, denen das Land und das darin befindliche Öl gehörten, auszubeuten, und auch vor Mord nicht zurückschreckten.

Mehr

Die Osage-Nation, ursprünglich in Missouri angesiedelt, war im 19. Jahrhundert in die „Indian Territories“ von Oklahoma getrieben worden. Die Osage kauften das Weideland, auf dem sie siedelten, und als 1894 unter der Prärie große Ölvorkommen entdeckt wurden, wurden die Osage zu einem der damals reichsten Völker unter den First Nations. Die „Osage Indian Murders“ ereigneten sich zwischen 1918 und 1931. Mindestens sechzig Osage wurden ermordet, fast immer mit dem Ziel, an ihr Geld zu kommen.

In KILLERS OF THE FLOWER MOON entfaltet Martin Scorsese ein Gesellschaftspanorama des Osage County zu Beginn des 20 Jahrhunderts. Die Kerngeschichte entspricht weitgehend historischen Tatsachen. Der Film beginnt mit Originalfotografien von Osage im frühen 20. Jahrhundert. Neben den teuren Autos der Abgebildeten fällt ihre elegante, aufwendig gewebte, traditionelle Kleidung auf. Unter den Osage, das wird schnell deutlich, ist ein an eigenen Traditionen orientierter Mode-Stil entstanden. In die historischen Fotografien mischen sich Fotos von Cast-Mitgliedern im gleichen Look und schließlich eine Szene am Bahnhof, an dem Osage, aber auch weiße Glückssucher ankommen.

Die Szene wird farbig und konzentriert sich auf Ernest Burkhart (Leonardo DiCaprio) einen Ex-Soldaten, der den Kontakt zu seinem Onkel, dem Rancher William Hale (Robert De Niro) sucht. Hale ist eine imposante Figur, ein reicher Farmer, der seinem Neffen ein Buch über die Osage-Kultur in die Hand drückt, fließend die Osage-Sprache beherrscht, und behauptet, das Volk als intelligent und kultiviert zu respektieren. Den Hinweis, eine Osage-Frau zu heiraten, weil die nach Parzellen aufgeteilten Ansprüche auf Erdöl-Profite an Weiße Amerikaner vererbbar sind, gibt Hale Ernest dennoch. Leonardo DiCaprio spielt Ernest mit einer sich immer weiter vertiefenden Stirnfurche, vorgeschobenem Kinn und tiefhängenden Mundwinkeln. Burkhart schlägt sich mit Raubüberfällen und Gelegenheitsjobs durch, bis er Mollie Brown begegnet – von Lily Gladstone (CERTAIN WOMEN) mit Witz, Charme, Eleganz und (später) ehrlicher Erschütterung gespielt. Mollie pflegt ihre kranke Mutter und erwartet ein üppiges Erbe. Das Geld wird allerdings von einem weißen Vormund verwaltet, bei dem die Osage-Familie für jede Ausgabe vorstellig werden muss – eine Maßnahme der US-Regierung, die das Geld der Osage durch oft korrupte Treuhänder verwalten ließ.

Scorsese hat im „Variety“-Interview berichtet, dass sich der Film in einer ersten Drehbuch-Version auf die Aufklärung der Morde durch das gerade gegründete FBI und dessen Agenten Tom White (Jesse Plemons) konzentrieren sollte. Stattdessen Mollie Brown, Ernest Burkhard und William Hale zum Hauptstrang der Erzählung zu machen, verschiebt nicht nur den Fokus von den „weißen Rettern“ auf das eigentliche Skandalon, sondern gibt Scorsese die Gelegenheit zu mehreren außerordentlichen Charakterzeichnungen. Mollie Brown weiß, dass Ernest es auf ihr Geld abgesehen hat und spricht das in einer sehr komischen Szene, in der sie mit ihren Schwestern über die weißen Männer lästert, ohne Zögern aus. Aber sie findet ihren Kerl halt niedlich. Ernest ist davon überzeugt, dass er Mollie wirklich liebt, und eine Szene, in der sie sich bei einem Dinner das erste Mal näherkommen, macht deutlich, dass das keine Zweckbehauptung ist. Mollie ist cool, amüsiert, ironisch und bestimmend. Ernest hat nach der Heirat mit Molly genug Geld, um ein sehr bequemes Leben ohne Arbeit zu führen, dennoch bleibt er unter dem Einfluss seines Onkels und versucht sich an eigenen Schurkereien. Mollie sieht und spürt, dass sie in Gefahr ist, und dennoch kann sie sich nicht entschließen, daran zu glauben. KILLERS OF THE FLOWER MOON erzählt von Leuten, die es besser wissen könnten, aber denen es nicht gelingt, nach ihren als richtig erkannten Überzeugungen zu handeln. Scorsese gelingt es, die Komplexität von Dummheit und Brutalität einleuchtend darzustellen. Seine Figuren sind zugleich einfach und zum Haare raufen widersprüchlich, ohne dabei sonderlich zerrissen zu wirken.

Rassismus ist in KILLERS OF THE FLOWER MOON alltäglich, aber der offen vorgetragene Rassismus richtet sich gegen Schwarze, nicht gegen die Osage. Über die wird hinter vorgehaltener Hand geredet: Das eine Kind aus einer Ehe zwischen einer Osage-Frau und einem Weißen ist hellhäutiger, nur schade, dass das andere so indianisch aussieht. Zugleich marschiert der Ku-Klux-Klan durch die Hauptstraße, von Weißen enthusiastisch begrüßt, von den Osage schweigend beobachtet. Der charismatische William Hale spricht die Sprache der Osage und inszeniert sich als Partner und Freund der Osage, und vermutlich hat er tatsächlich einen gewissen Respekt, aber auch kein Problem damit, seine Freunde und Partner buchstäblich ans Messer zu liefern, wenn es ihm selbst nutzt.

Scorsese bleibt ein Großmeister der Inszenierung von Gruppenszenen, seine ausschweifenden Kamerafahrten und die Choreografie von großen Ensembles in einer Szene sind wie immer umwerfend. Soundtrack-Komponist Robbie Robertson, der im August dieses Jahres verstorbene Gitarrist und Songwriter von „The Band“, stammt aus einer Mowak- und Cayuga-Familie und hat sich in den letzten Jahren immer wieder mit der Tradition und Gegenwart der indigenen amerikanischen Musik beschäftigt. Sein Soundtrack enthält diese Elemente, besonders auffällig sind aber die Pre-War-Blues-Klassiker, die Robertson an den Wendepunkten der Erzählung einsetzt: Henry Thomas‘ optimistischer „Bull Doze Blues“ (1928, besser bekannt als „Going up the Country“ in der Cover-Version der Blues-Archivare Canned Heat) eröffnet den Film, auf dem Höhepunkt der Tragödie ist Blind Willie Johnsons Slide-Guitar-Meisterwerk „Dark Was the Night, Cold Was the Ground“ (1927) zu hören, das fast wortlose, todtraurigste Blues/Gospel-Stück aller Zeiten. Lily Gladstones Oscar-Nominierung als beste Darstellerin dürfte gebucht sein, Robbie Robertson könnte leider nur posthum zu Ehren kommen.

Tom Dorow

Details

Originaltitel: Killers of the Flower Moon
USA 2023, 206 min
Genre: Drama, Krimi, Historienfilm
Regie: Martin Scorsese
Drehbuch: Eric Roth, Martin Scorsese
Kamera: Rodrigo Prieto
Schnitt: Thelma Schoonmaker
Musik: Robbie Robertson
Verleih: Paramount Pictures
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Robert De Niro, Jesse Plemons, Brendan Fraser, Lily Gladstone, John Lithgow, Tantoo Cardinal, Cara Jade Myers, Janae Collins
Kinostart: 19.10.2023

Website
IMDB

Vorführungen

Filter
Multiplexe anzeigen

ALLE ANGABEN OHNE GEWÄHR.
Die Inhalte dieser Webseite dürfen nicht gehandelt oder weitergegeben werden. Jede Vervielfältigung, Veröffentlichung oder andere Nutzung dieser Inhalte ist verboten, soweit die INDIEKINO BERLIN UG (haftungsbeschränkt) nicht ausdrücklich schriftlich ihr Einverständnis erklärt hat.