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Holy Spider

Religiöser Wahn

HOLY SPIDER bewegt sich auf der Grenze zwischen Sozialdrama und Thriller. In der Pilgerstadt Maschhad bringt der tiefreligiöse Serienmörder Saeed Prostituierte um, um die Stadt zu „reinigen“.

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HOLY SPIDER, der in der iranischen Stadt Maschhad spielt – jener Stadt, in der im September die 22-jährige Mahsa Amini von der „Sittenpolizei“ erschlagen wurde, weil sie ein Kopftuch nicht korrekt trug – ist ein Film von ungeplanter, beklemmender Aktualität. Ali Abbasi (BORDER) erzählt, angelehnt an reale Ereignisse, vom Serienmörder Saeed Hanaei, der in der Pilgerstadt Maschhad Prostituierte umbringt und „Spinnenmörder“ genannt wird. Saeed (Mehdi Bajestani) ist ein tiefreligiöser Familienvater und Bauunternehmer bei Tage. Abends, wenn Frau und Kinder bei den Großeltern sind, steigt er auf seinen Motorroller, sammelt auf der Straße Prostituierte auf, bringt sie nach Hause und erdrosselt sie. In seinen vielen Nachtszenen folgt der Film Saeed wiederholt bei der Ausübung seiner „Mission“.
Abbasi filmt die Morde mit großer, verstörender Genauigkeit. Immer lernt man die Frauen zunächst kurz in ihrer Persönlichkeit und Lebenssituation kennen, dann begegnen sie Saeed, dessen kalter Fanatismus keine Individuen sieht, nur „Schmutz“, den er auslöschen will. Immer wieder hofft man, sie mögen nicht auf den Roller aufsteigen. In diesen Szenen wird einem schmerzlich bewusst, wie ausgeliefert die Frauen - nicht nur die Sexarbeiterinnen, sondern alle Frauen und nicht nur bei Nacht allein auf der Straße, sondern eigentlich in allen öffentlichen und privaten Situationen ihres Lebens - sind. Mit Glück begegnen sie keinem Mörder, aber auch einem Schläger oder Lügner wären sie recht- und schutzlos ausgeliefert.
Das geht auch der Journalistin Rahimi (Silberne Palme in Cannes für die beste Hauptdarstellerin: Zar Amir Ebrahimi) so, die in einem parallel erzählten Handlungsstrang den Fall recherchiert und überall auf Widerstand stößt, und peinlich genau darauf achtet, niemals allein mit einem Mann zu sein. Einige der Hürden, die ihr in den Weg geworfen werden, sind misogyn gegen die moderne Frau gerichtet, andere sind politisch-religiös motiviert: Der „Spinnenmörder“ scheint von den Machthabern der Stadt wenn nicht aktiv unterstützt so doch geduldet zu sein. Der Verdacht erhärtet sich beim anschließenden Prozess, als Saeed bei Teilen der Bevölkerung zum Helden wird.
HOLY SPIDER bewegt sich auf der Grenze zwischen Sozialdrama und Thriller. Fast beklemmender als die physische Gewalt ist dabei die Atmosphäre von religiösem Wahn und totaler Unterdrückung aller Frauen der Stadt.

Hendrike Bake

Details

Dänemark/ Deutschland/ Frankreich/ Schweden 2022, 115 min
Sprache: Persisch
Genre: Drama, Crime
Regie: Ali Abbasi
Drehbuch: Ali Abbasi, Afshin Kamran Bahrami
Kamera: Nadim Carlsen
Schnitt: Olivia Neergaard-Holm
Musik: Martin Dirkov
Verleih: Alamode Film
Darsteller: Zar Amir-Ebrahimi, Mehdi Bajestani, Arash Ashtiani, Forouzan Jamshidnejad, Sina Parvaneh
Kinostart: 12.01.2023

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