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Gundermann Revier

Wo nischt ist, ist alles möglich

Anhand von Songtiteln führt GUNDERMANN REVIER lose durch Gundermanns Karriere, aber Lemkes Blick ist wesentlich weiter, schweifender und fängt in präzisen Beobachtungen einen Landstrich und eine Generation ein.

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Als Westsozialisierte habe ich „den singenden Baggerfahrer“ aus der Lausitz Gerhard „Gundi“ Gundermann und seine Geschichte erst durch Andreas Dresens Spielfilm GUNDERMANN (2018) kennengelernt. Das erste, was mir beim Anschauen von Grit Lemkes elegantem und persönlichem Dokumentarfilm GUNDERMANN REVIER ins Auge gesprungen ist, war dann auch die frappierende Ähnlichkeit zwischen dem fiktionalen Gundermann, den Alexander Scheer spielte, und den historischen Aufnahmen Gundermanns, von denen viele ihn in Alltagssituationen zeigen – beim Treffen mit der Band Brigade Feuerstein, im Braunkohlebagger-Cockpit, beim Straßentheater. Hier wie da ist Gundermanns Unermüdlichkeit und Ungeduld, Offenheit, Sturköpfigkeit und Begeisterungsfähigkeit und die Lust an der Verausgabung in jeder Szene zu spüren. Ein Kollege sagt über ihn: „Er hat den Vorteil oder Nachteil, er spricht aus, was er denkt“. Gundermann zerstreitet sich mit Freunden und mit der Partei, aber ist auch für alle da. Nach der Wende fährt er auf Soli-Konzerte in Dörfer, die vom Tagebau bedroht sind, danach geht es wieder zur Schicht. Sein ganzes kurzes Leben lang hat Gundermann weiter malocht, auch als er schon Erfolg hatte. Er brauche das Quietschen der Förderbänder zum Schreiben seiner Songs, sagt er.

Anhand von Songtiteln führt GUNDERMANN REVIER lose durch Gundermanns Karriere von den Anfängen mit der Brigade Feuerstein, über die Soloerfolge bis hin zu den Nachwendeauftritten. Auch, dass Gundermann für die Stasi arbeitete, kommt vor. Aber Lemkes Blick ist wesentlich weiter, schweifender und fängt in Beobachtungen, die in ihrer Knappheit und Präzision etwas von einem Gedicht haben, einen Landstrich und eine Generation ein, die in den letzten 30 Jahren komplett umgekrempelt wurden. Wo einst Abraumhalden waren, entstehen Seen. Die Plattenbauten, in denen einst tausende Familien wohnten, werden abgerissen. Über die Plätze und „Wohngebietsgaststätten“ wächst Gras. Über ihre und Gundermanns Generation sagt Grit Lemke: „Es gibt diesen Begriff, den Gundi in dem Film auch nennt, die "übersprungene Generation". Und das ist so ein Grundgefühl, was ich mit mir rumtrage und was ich auch in den Liedern von Gundi finde. Also, was auch wir als eine bestimmte Generation im Osten haben, die, wie Gundermann sagt, nie an die Schalthebel der Macht gekommen sind.“ (MDR Kultur)

GUNDERMANN REVIER erzählt lakonisch und poetisch zugleich von diesem Grundgefühl. Grit Lemke beginnt ihren Film „Das Revier hat uns beide ausgespuckt. Du hast es einmal umgegraben. Wir wollten was bewegen“. Gundermann singt: „Was man wirklich nicht mehr essen kann, dass lässt sich rauchen“ und „Wo nischt ist, ist alles möglich.“

Hendrike Bake

Details

D 2019, 98 min
Genre: Dokumentarfilm, Porträt
Regie: Grit Lemke
Drehbuch: Grit Lemke
Verleih: Inselfilm
Kinostart: 12.12.2019

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