Wie fühlt es sich an, wenn die Person, die man liebt, zu Unrecht im Gefängnis sitzt? Dieser Frage müssen sich besonders in Amerika zahlreiche People of Color stellen. Eine von ihnen ist Michelle Bastien-Archer, alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Nach dem Tod ihres Mannes verliebte sie sich in Jermaine, der nur kurze Zeit später wegen Mordes angeklagt und zu 22 Jahren Haftstrafe bis lebenslänglich verurteilt wurde. 2007 heiratete sie Jermaine in der Besucherhalle des Sing Sing Gefängnisses. Zu diesem Zeitpunkt wusste sie bereits von seiner Unschuld.
Nele Dehnenkamp dokumentiert in FOR THE TIME BEING über eine Zeitspanne von fast 10 Jahren das Leben von Michelle. Angefangen bei der Entdeckung von Unterlagen, die Bestechungszahlungen an den einzigen Zeugen belegen, bis hin zur Entlassung von Jermaine führt der Dokumentarfilm in Aufnahmen im 4:3-Format durch Michelles Leben. Dehnenkamp zeigt alltägliche Situationen, in denen die emotionalen Last des Paares sich offenbart, wird aber weder zu kitschig noch zu distanziert. Dehnenkamp begleitet das Leben Michelles als „Prison Wife“ mit Respekt und vermittelt trotzdem das Gefühl, an dieser Lebensrealität teilzuhaben. Lohnarbeit, die Schulabschlüsse ihrer Kinder und die Corona-Pandemie gehören genauso zu Michelles Alltag wie „Wohnwagenbesuche“, Protestreden und „Junggesellinnenabschiede“, die immer dann gefeiert werden, wenn ein Mann aus Michelles Freundeskreis aus der Haft entlassen wird. Jermaines Unschuld und die Beziehung zwischen ihm und Michelle werden nie infrage gestellt, stattdessen stehen die Verfehlungen des amerikanischen Rechtssystems in der Kritik.
FOR THE TIME BEING gibt einen Einblick in das Privatleben einer selbstbewussten Frau, die für Liebe und Gerechtigkeit kämpft.

Lukas Hoffmann