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Feature

Woody Allen, ich und A Rainy Day

Nachdenken über einen alten Bekannten

Woody Allen und mich verbindet inzwischen eine sehr lange, wenn auch einseitige Bekanntschaft. Als verkopfte Teenager haben wir uns Allens Kurzgeschichten vorgelesen – ich erinnere mich da beispielsweise an eine, in der eine Brieffreundschaft zwischen zwei Männern in ein Fernscrabble-Desaster mündete. Wenig später zeigte unser Museum vor Ort eine Reihe mit amerikanischen Komödien und wir entdeckten die frühen Werke der albernen Periode, DIE LETZTE NACHT DES BORIS GRUSCHENKO, SLEEPERS, EVERYTHING YOU ALWAYS WANTED TO KNOW ABOUT SEX * BUT WERE AFRAID TO ASK. Ich holte in den nächsten Jahren die Klassiker – MANHATTAN, ANNIE HALL, HUSBANDS AND WIVES – mit angemessener Ehrfurcht nach und verfolgte Allens Schaffen ungefähr ab BULLETS OVER BROADWAY (1994) in Echtzeit.

Auch wenn Woody Allen nie zu meinen Lieblingsregisseuren gehört hat - das waren knalligere, jüngere, visuell denkende Leute wie Wong Kar-Wai und Takeshi Kitano, alles Männer – und ich nicht das Gesamtwerk gesehen habe, waren Allens Filme doch so etwas wie sympathische Bekannte, die man regelmäßig auf anderer Leute Partys trifft, und immer mal wieder ging ich hin, um mir einen anzusehen. Auch wenn sich vieles wiederholte, nicht alle Filme die gleiche Energie besaßen, die Männer immer älter wurden und die Frauen gleich jung blieben, gelangweilt hat mich kaum einer. Auch der schlechteste Woody Allen war immer noch gewitzter und origineller als mindestens 85% der übrigen Kinoware. Und immer wieder war ein Kracher dabei. Die böse Satire MATCHPOINT (2005) beispielsweise, oder der charmante WHATEVER WORKS (2009), der mit seiner Laissez-Faire Haltung dem Leben und der Liebe gegenüber ein versöhnliches Abschiedswerk abgegeben hätte, oder auch der verspielte MIDNIGHT IN PARIS (2011) mit Owen Wilson als interessanteste Allen-Reinkarnation seit Langem.

Fast jeder Film führte eine neue, sehr junge, atemberaubend schöne Frau ein, in die sich die zunehmend älteren Helden verliebten. Das hat natürlich genervt und den Bechdel-Test besteht vermutlich kein einziger von Allens Filmen. Immer sind die Frauen Objekte des Begehrens und der Bewunderung, die Männer arme Tropfe, die dieser Bewunderung ausgeliefert sind. Sex ist die einzige Sprache, die zwischen den Geschlechtern gesprochen wird, auch wenn Sex bei Allen manchmal die Form von geistreichen Dialogen annimmt. Dennoch tat und tue ich mich schwer damit, Woody Allen, eine Wald-und-Wiesen-Frauenfeindlichkeit zu unterstellen, die Frauen vor allem in Schach halten und in bestimmte Rollen bannen möchte. Vielleicht, weil die Allenschen Sexobjekte selten nur schön waren, sondern zumeist auch geistreich, klug, unabhängig und eigenwillig. Vielleicht auch, weil Identifikation nicht notwendigerweise Geschlechterzuordnungen folgt. Allens Filme erzählten von der Hoffnung auf Liebe für neurotische Nerds - damit konnte ich etwas anfangen. Ich habe den Blick der verkorksten Helden übernommen. Nach MATCH POINT habe ich von Scarlett Johansson geträumt.

Diese Form der Identifikation über Geschlechtergrenzen hinweg, bei der ich mich als weibliche Zuschauerin mit dem männlichen Helden identifiziere, der die Königstochter befreit, habe ich lange eher als Befreiung begriffen: Die zugeschriebenen Rollen muss ich für mich nicht annehmen. Inzwischen fühlt es sich öfter wie Verrat an: Ich identifiziere mich mit der herrschenden Klasse, übernehme deren Blick und zementiere damit letztlich reale Verhältnisse. Die Debatte um Repräsentation, die spätestens seit #metoo tobt, macht diesen naiven, unpolitischen imaginären Rollenwechsel immer schwieriger. Und eine Film- und Serienlandschaft, die - auch in gar nicht explizit feministisch angelegten Filmen - immer interessantere Frauenfiguren erfindet, multiple Perspektiven anerkennt und Geschlechterverhältnisse sehr lässig neu erzählt, macht ihn auch immer weniger notwendig. Ich finde es legitim, dass ein Regisseur wieder und wieder von seinen Neurosen und von seiner Faszination für junge Frauen erzählt – wozu ist das Kino da, wenn nicht für Obsessionen? - aber ich finde es nicht mehr besonders interessant.

Es ist nicht mehr der gleiche Blick, mit dem ich Woody Allens Filme heute betrachte. Ich bin unduldsamer geworden, weniger bereit, mitzuspielen und mich in eine Fantasiewelt hineinzudenken, in der für Leute wie mich gar kein Platz wäre. Aber auch die Filme haben sich verändert. Waren Frauen zuvor vor allem Objekte des Begehrens, so ist Allens Blick auf sie kälter geworden. In WONDER WHEEL (2017) hat er erstmals sein Standardschema älterer Mann/junge Frau verändert und erzählt von Ginny (Kate Winslet), einer Fünfzigjährigen, die auf dem Rummelplatz von Coney Island verblichenen Träumen nachhängt und sich in den blutjungen Bademeister verliebt. Während Allens verliebte Männer immer liebenswerte Kerle sind und ihre Gefühle in der Regel – warum auch immer – erwidert werden, zeichnet Allen Ginny hier als verbitterte Frau und ihren Liebeswunsch als völlig weltfremd und natürlich zum Scheitern verdammt. In A RAINY DAY IN NEW YORK spielt Elle Fanning Ashleigh Enright, die Freundin unseres Helden Gatsby Welles. Er (Timothée Chalamet) ist eine Mischung aus einem jungen Allen und einem jazzliebenden Holden Caulfield und lebt – dank reicher Eltern und einem Händchen fürs Kartenspiel – luxuriös in den Tag hinein, spielt Jazzpiano und träumt davon, ein Schriftsteller zu werden. Sie ist ein blondes Landei mit Journalismus-Ambitionen, die in New York den berühmten Regisseur Roland Pollard (Liev Schreiber) interviewen möchte. Der hadert mit seinem jüngsten Werk, das er einen „existentiellen Scheißhaufen“ nennt und findet Ashleigh belebend. Während Ashleigh Pollard anhimmelt, dann seinen Drehbuchautor tröstet, schließlich auf eine Party geschleppt wird und dort mit dem ebenfalls älteren Schönling Francisco Vega anbandelt, driftet Gatsby melancholisch durch die verregnete Stadt und trifft dabei auf Shannon (Selena Gomez), die schlagfertige kleine Schwester einer Ex.

Elle Fanning wirft sich mit Verve in diese undankbare Rolle und spielt mit ihrer komödiantischen Leistung alle an die Wand. So blond muss man erstmal gucken können! Aber das kann nicht darüber hinweg täuschen, dass ihr Charakter als ein unvereinbares Bündel an frauenfeindlichen Vorurteilen angelegt ist: blond, naiv und ein bisschen dumm, aber auch ehrgeizig, berechnend und unloyal. Wie in WONDER WHEEL ist es nicht so sehr Allens erotisierender Blick, der mich stört, sondern die doppelten Standards, mit denen er seine Sympathien verteilt. Wenn Gatsby sich durch die Gegend schlampt ist das verträumt, bei Ashleigh kalkulierend. Der schlechteste Witz des Films, um Gatsbys Bruder, der demnächst heiraten soll, aber das Lachen seiner Frau hasst, könnte direkt aus den fünfziger Jahren stammen. Einmal sagt Pollard „Was ist es nur, dass junge Frauen so zu älteren Männern hin zieht?“ und man fragt sich, ob das nun Woody Allens Beitrag zu #metoo sein soll?

Das New York in A RAINY DAY fühlt sich so exotisch verklärt an, wie die europäischen Reiseziele in seinen Komödien zuvor. Allen entspinnt eine romantische Fantasie, die sich so weit wie irgend möglich von der Debatte, die ihn in der Gegenwart umtost, wegzuwünschen scheint, und dennoch fühlen sich diese Gehässigkeiten an wie Spuren der Schlammschlacht, in der sich der Regisseur befindet, seit Mia und Dylan Farrow ihre Vorwürfe erneuert haben, Allen habe seine Adoptivtochter Dylan als siebenjähriges Kind missbraucht. Allen bestreitet dies, ein Verfahren wurde damals ergebnislos eingestellt. In die Debatte sind inzwischen auch Allens Adotivsohn Moses Farrow, seine Ehefrau (und Adoptivtochter Mia Farrows) Soon-Yi und gefühlt die gesamte amerikanische Öffentlichkeit verwickelt. Allens Arbeitgeber Amazon hat daraufhin die Zusammenarbeit gekündigt und Allen die Firma verklagt. A RAINY DAY IN NEW YORK kam in den USA nicht in die Kinos. Falls die Vorwürfe stimmen sollten, ist Allen völlig zu Recht persona non grata, falls nicht, geschieht ihm gerade großes Unrecht. Dass sie jemals zweifelsfrei geklärt werden, scheint wenig wahrscheinlich.

Das alles entschuldigt Allens Biestigkeit nicht, aber es erklärt sie vielleicht ein wenig. Ob ich weitere Filme von Woody Allen sehen möchte, weiß ich nicht recht. Vielleicht ja, einfach aus Gewohnheit und ein paar guter Dialoge wegen. Um das Gespräch nicht abbrechen zu lassen. Oder in der Hoffnung, dass Woody Allen noch nicht zu müde ist, um ein selbstreflexives Alterswerk zu drehen, das die blinden Stellen offensiv angeht, so etwas wie HUSBANDS AND WIVES 2.0. Es könnte ein Kracher sein.

Hendrike Bake