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Interview, Feature

„Schon von klein auf habe ich mich gefragt, wo ich hingehöre“

Interview mit Golshifteh Farahani

Golshifteh Farahani wurde 1983 in eine linke Teheraner Theaterfamilie geboren und wuchs dreisprachig auf. Schon mit fünf Jahren begann sie Klavier zu lernen und mit 14 spielte sie ihre erste Hauptrolle. Inzwischen ist sie ein weltweit gefragter Star. Zu ihren Filmen zählen Bahman Ghobadis HALBMOND (2006), Asghar Farhadis ALLES ÜBER ELLY (2009), Marjane Satrapis HUHN MIT PFLAUMEN (2016) und Jim Jarmuschs PATERSON (2019). Nach dem Dreh von Ridley Scotts Thriller BODY OF LIES (2008) geriet sie ins Fadenkreuz der iranischen Behörden und lebt seither in Paris. In ihrem jüngsten Film, der freundlichen Komödie EINE COUCH IN TUNIS (R: Manele Labidi) spielt sie die Therapeutin Selma, die als Kind mit den Eltern aus Tunesien nach Paris emigriert ist und als Erwachsene zurückkehrt, um in Tunis eine psychoanalytische Praxis aufzumachen. Ihre Umgebung hält sie für verrückt. Pamela Jahn hat sich mit Golshifteh Farahani über Umzüge, Identität und das Anderssein unterhalten.


INDIEKINO: Frau Farahani, was hat Sie daran gereizt, eine Therapeutin zu spielen?

Golshifteh Farahani: Es ging mir weniger um die Therapeutin als um die Geschichte dahinter und den Ton, in dem sie erzählt wird. Ich fand das Drehbuch witzig und originell. Es hat mich zum Lachen gebracht und zugleich zum Nachdenken angeregt. Im Film werden die alltäglichen Probleme der Menschen auf sehr feine, humorvolle Weise reflektiert, ohne zu sehr in die Tiefe zu gehen, wenn es um politische oder gesellschaftliche Themen geht. Der Ton ist heiter, aber es wird nichts beschönigt. Die Menschen wollen leben, sie wollen ihrem Platz im Leben finden.

Nachdem Selma in Frankreich gelebt und gearbeitet hat, kehrt sie nach Tunis zurück, um dort ihre eigene Praxis zu eröffnen. Konnten Sie sich mit der Figur identifizieren? Auch Sie leben in Frankreich. Spielen Sie ebenfalls mit dem Gedanken, eines Tages in Ihre Heimat, den Iran, zurückzugehen?

Den Wunsch habe ich, aber ich denke, es besteht ein Unterschied darin, ob man als Kind seine Heimat verlassen hat und zurückkehrt, oder so wie ich, mit vierundzwanzig weg gegangen ist. In dem Alter geht es nicht mehr darum, die eigene Identität zu finden. Man weiß, was man hinter sich gelassen hat und warum. Man vermisst etwas, aber dieses Etwas ist nicht da. Und je mehr Zeit vergeht, umso mehr wird einem bewusst, dass sich daran nichts ändern wird. Und was einmal entwurzelt wurde, lässt sich nur schwer wieder neu einpflanzen. Wenn man jung ist, mag es gehen. Vielleicht wächst man etwas schief weiter, doch es kann funktionieren. Aber alte Bäume lassen sich nicht einfach umsetzen. Dazu kommt, dass man wie Selma im Film nirgends richtig dazu gehört. In Frankreich wird sie als Tunesierin gesehen, in Tunesien hält man sie für eine Französin. Sie steckt in der Zwickmühle.

Geht es Ihnen ähnlich?

Für mich ist es noch schlimmer, weil ich mich allen Kategorien entziehe. Ich will als nichts Bestimmtes gesehen werden, nicht im Hinblick auf mein Geschlecht, meine Nationalität. Für mich sind das alles Illusionen, unsere Vorstellungen davon, was französisch ist oder deutsch, iranisch oder tunesisch. Am Ende fühle ich mich immer dort am ehesten zuhause, wo Leute aus aller Welt zusammenkommen, wo es keine Grenzen gibt. Wir gehören alle überall hin, wir gehören zueinander, so wie wir gerade an diesen Tisch gehören. Wir gehören dorthin, wo wir zusammenkommen. Deshalb bin ich immer viel unterwegs, gehe ständig von überall weg, weil ich mich auch in Frankreich oder im Iran als Fremde fühle und in bestimmter Hinsicht immer fremd gefühlt habe. Man kann sich selbst in der eigenen Familie fremd fühlen, im eigenen Haus, wenn man glaubt, nicht dazu zu gehören. Das klingt jetzt zwar ziemlich traurig, aber es kann auch ein schönes Gefühl sein.

Inwiefern?

Wenn man mit aller Kraft an etwas festhält, sei es die Heimat, die Familie, die Kultur oder das Geschlecht, dann wird man irgendwann das, was man zu sein glaubt. Wenn man sich aber von diesen Kategorien frei macht, wenn man realisiert, dass das alles Unsinn ist, dann hat man die Möglichkeit der Mensch zu werden, der man im Herzen ist. Und das Beste daran ist: Keiner kann einem das nehmen. Denn man trägt seine Heimat im Herzen, im Bauch. Und wann immer man nach Hause kommen will, geht man in sich hinein und ist da. Mit anderen Worten: Ich muss nirgends hingehen, ich bin bereits angekommen, in mir, egal wo ich mich räumlich befinde. Ich kann meine eigene Heimat in mir selbst kreieren.

"Der Iran ist in seinem tiefsten Innern ein freies Land. Nur weiß niemand davon."

Fühlen Sie sich trotzdem noch manchmal als Iranerin?

Absolut. Ich bin durch und durch Iranerin, kulturell gesehen, was die Küche angeht, den Tanz, die Musik. Wenn ich persisches Essen rieche, könnte ich ohnmächtig werden, so sehr liebe ich es. Aber genau darum geht es: Ich bin Iranerin, aber gleichzeitig bin ich frei. Es steckt in meinem Blut, es gehört mir und nur mir allein. Keiner kann mir das nehmen. Ich bin überzeugt davon, dass, je mehr wir heutzutage unsere Kultur pflegen, wir auch umso mehr die Möglichkeit haben, wirklich frei zu sein.

Warum haben Sie sich in Ihrem Land immer schon fremd gefühlt?

Weil ich immer anders war. Ich war ein ungewöhnliches Kind. Ich habe mich immer irgendwie außen vor gefühlt. Schon von klein auf habe ich mich gefragt, wo ich hingehöre. Als ich in die Schule kam, wurde alles nur noch schlimmer, weil ich nicht so war, wie alle anderen.

Was war so anders an Ihnen? Was haben Sie gemacht, das aus der Reihe fiel?

Ich war zum Beispiel ziemlich laut. Ich wollte immer eine Anführerin sein. Ich habe nicht still in der Ecke gesessen wie die anderen Mädchen. Ich war extrovertiert, aber gleichzeitig habe ich mich auch immer weiter in mich gekehrt. Doch egal was ich tat, es hat die Leute um mich herum stutzig gemacht, auch später im Konservatorium. Dort wurde Beethoven und Mozart gespielt, und ich habe Metallica und Hardcore gehört und Headbanging geübt. Ich bin ständig mit einer Halskrause zum Unterricht gekommen, weil ich mir dabei immer den Nacken verrenkt habe. Ich war echt schräg. Als ich sechzehn wurde, habe ich mir den Kopf kahlgeschoren und bin ich auf der Straße wie ein Junge herumgelaufen, was, wie Sie sich vorstellen können, im Iran nicht unbedingt ungefährlich war. Ehrlich gesagt, ich war eine Katastrophe, wie ein wildes Tier. Meine Eltern konnten nichts dagegen tun. Sie haben mich weder unterstützt noch unterdrückt. Sie haben mich einfach mein Ding machen lassen, alles andere hätte sowieso nichts genützt. Und auch sie waren Außenseiter, weil sie verheiratet waren, obwohl sie beide verschiedenen Religionen angehörten. Das war ein großes Problem und sie wurden deshalb von ihren Familien abgelehnt. Im Grunde steckt das Anderssein also bei uns in der DNA. Es wurde mir in die Wiege gelegt.

Wie hat sich dieses Anderssein später auf Ihre Arbeit, Ihre Karriere ausgewirkt?

Ich glaube, in erster Linie darin, dass ich mich nicht in eine Box stecken lasse. Ich will nicht als Französin abgestempelt werden und auch nicht als Iranerin. Ich will nicht für das Independent-Kino bekannt sein und auch nicht für Blockbuster. Egal, welche Handlung ein Film hat, ich bin für alles offen. Das war auch meine größte Angst, als ich damals aus dem Iran weg bin, dass ich in Amerika nur typische Rollen für Frauen aus dem Mittleren Osten angeboten bekommen würde – Terroristinnen, unterdrückte Frauen, so was eben. Vor zwölf Jahren war die Gefahr, was das angeht, noch sehr groß. Mittlerweile sieht es etwas besser aus, aber damals bin ich auch aus Amerika wieder weggegangen, weil ich diesem Schubladendenken unbedingt entkommen wollte. Wenn ich geblieben wäre, wäre ich wahrscheinlich heute eine gute, typische Terroristin und ewig als solche rollentypisch festgelegt. Aber das wollte ich nicht. Ich habe schlechtbezahltes französisches Autorenkino vorgezogen, wo man nichts geschenkt bekommt und alles ein bisschen anstrengender ist. Aber das war und ist mir bis heute tausendmal lieber.

Wie ist es dazu gekommen, dass Sie sich nach den Erfahrungen mit BODY OF LIES dazu entschlossen, Ihre Heimat zu verlassen?

Auf die Zusammenarbeit mit Ridley Scott folgten sieben Monate Alptraum. Mein Reisepass wurde mir entzogen und ich wurde mehrmals vom iranischen Informationsministerium verhört. Als ich später doch das Land verlassen durfte, entschied ich mich, nicht zurückzukehren. Ich wusste, dass für mich alle Brücken abgebrochen waren. Ich konnte selbst meiner eigenen Familie, meinem eigenen Vater nicht mehr trauen. Nach diesem einen Vorfall, wurde alles, was ich als Frau tat, im Iran als „anti-iranisch“ ausgelegt. Alles wurde politisch kommentiert. Es war unfair und ich war wütend. Jetzt bin ich es nicht mehr. Aber ich frage mich bis heute: Warum haben Männer so ein Problem mit Frauen? Warum diese Folter, diese Gewalt gegen Frauen? Damals dachte ich zunächst noch, dass einem Mann dasselbe widerfahren wäre, dass es in erster Linie um meine Kooperation mit Hollywood und dem Staatsfeind Amerika ging. Aber der Gedanke war falsch. Wenn man als iranische Frau seine Haare zeigt oder den Körper, dann ist man tot.

Dabei habe ich das Gefühl, dass es im Iran heute auch eine sehr große unabhängige Kultur und Menschen gibt, die liberal denken und offen sind.

Das stimmt schon. Aber es ist eine schmale Gratwanderung. Sobald man etwas tut, das provoziert und international in der Öffentlichkeit für Aufmerksamkeit sorgt, sehen sie das nicht gern. Es geht darum, das Image des Irans als islamisches Land aufrecht zu erhalten. Ein Image, das so längst nicht mehr der Wahrheit entspricht. Der Iran ist in seinem tiefsten Innern ein freies Land. Nur weiß niemand davon. Nur wenn man sich die Mühe macht und einmal genauer hinschaut, dann kann man es sehen.

Das Gespräch führte Pamela Jahn

Pamela Jahn