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Interview

„Im Vordergrund unserer Zusammenarbeit stand immer der Dialog“

Interview mit Céline Sciamma

Als Regisseurin und Drehbuchautorin hat Céline Sciamma mit WATER LILIES (2007), TOMBOY (2011) und BANDE DES FILLES (2013) bereits mehrfach Geschichten über jugendliche Befindlichkeiten gedreht. Im sensibel beobachteten WATER LILIES ging es um eine Gruppe von 15-jährigen Mädchen, den ersten Sex und Synchronschwimmen. TOMBOY erzählte mit viel Charme von der achtjährigen Laure, die sich hinter dem Rücken der Eltern als Michael ausgibt. Der nahezu experimentelle BANDE DE FILLES porträtierte eine Mädchengang in der Banlieue. In MIT SIEBZEHN, für den sie gemeinsam mit André Techiné das Drehbuch geschrieben hat, stehen nun erneut Jugendliche zwei Jugendliche im Zentrum. Patrick Heidmann hat sich für INDIEKINO mit Céline Sciamma über ihre Arbeit als Autorin unterhalten.

INDIEKINO BERLIN: Mademoiselle Sciamma, für MIT SIEBZEHN haben Sie das Drehbuch gemeinsam mit dem André Téchiné geschrieben. Was bedeutete Ihnen dieser Regisseur vor der gemeinsamen Arbeit?

Céline Sciamma: Téchiné hat mich als Cineastin enorm geprägt, von Anfang an. Seine Filme der Neunziger Jahre haben entscheidenden Einfluss auf meinen Geschmack gehabt, schließlich habe ich damals als Jugendliche das Kino für mich entdeckt. WILDE HERZEN gehört bis heute zu meinen Lieblingsfilmen. Und von seinem Film MEINE LIEBSTE JAHRESZEIT hing sogar das Plakat in meinem Jugendzimmer. Ohne Filmemacher wie Téchiné hätte ich sicherlich nie angefangen, dreimal die Woche ins Kino zu gehen. Das Privileg und die Ehre zu haben, nun sogar einmal mit ihm zusammen zu arbeiten, bedeutet mir wahnsinnig viel.

Wie kam es zu dieser Kollaboration?

Das lief ganz herkömmlich ab. Sein Produzent rief mich an und bat um ein Treffen. Einen Tag später saßen André und ich gemeinsam im Café.

Wie viel von der Geschichte, die Sie nun in MIT SIEBZEHN erzählen, hatte er bei Ihrem ersten Treffen denn schon im Kopf?


Die erste Idee einer Liebesgeschichte zwischen zwei Mitschülern trug er wohl schon zehn Jahre mit sich herum. Doch alles andere haben wir gemeinsam entwickelt. Was genau zwischen den beiden Protagonisten passiert, wie die Geschichte ausgeht oder welche zentrale Rolle die nun von Sandrine Kiberlain gespielte Mutter einnimmt – all das entstand im direkten Austausch zwischen André und mir. Vermutlich hätte ich auch nicht abgelehnt, einfach ein fertiges Drehbuch von ihm zu überarbeiten. Immerhin ist er Téchiné! Aber tatsächlich zusammen mit ihm diese Geschichte zu schreiben, war natürlich noch sehr viel spezieller.

Nie war die Diskrepanz zwischen der Wichtigkeit des Autors und dem Geld sowie der Wertschätzung, die er dafür bekommt, größer

Wie genau muss man sich die Zusammenarbeit eigentlich vorstellen?

Das lief eigentlich ganz klassisch ab. Wir saßen die meiste Zeit im gleichen Büro, wenn auch natürlich nicht unbedingt immer am gleichen Computer. Was uns nicht vorschwebte war ein Modell, bei dem ich irgendwo sitze und Szenen schreibe, die ich ihm dann nur zum Abnicken schicke. Stattdessen haben wir in den ersten sechs Monaten erst einmal in Ruhe gemeinsam die Struktur entwickelt und alles herausgearbeitet, was uns wichtig erschien. So war Téchinés Vorgabe zum Beispiel, dass er möglichst wenige Dialoge im Film haben wollte. Dann habe ich erst einmal geschrieben – und anschließend mit ihm an den einzelnen Szenen gefeilt. Insgesamt hatte ich viel Verantwortung, was ich sehr zu schätzen wusste.

Sehen Sie jetzt im fertigen Film, wo Ihre und wo seine Handschrift zum Tragen kommt?

Ich sehe vor allem, wie kompatibel unsere beiden Handschriften tatsächlich sind. Und ich sehe, wie sehr er einerseits auf meine Stärken gesetzt hat, aber andererseits immer wieder dafür gesorgt hat, dass ich mich auch mal aus meiner Komfortzone herauswage. Aber im Vordergrund unserer Zusammenarbeit stand immer der Dialog von uns beiden. Es ging nie darum, dass jeder sich möglichst oft mit einer Idee durchsetzt und am Ende gezählt wird, wer die meisten Punkte hat.

Sie sind ja auch selbst Regisseurin. Ist es nicht schwierig, für jemand anderen zu schreiben?


Nein, gar nicht. Das ist mein Job. Ich habe Drehbuch studiert und bin erst später selbst Regisseurin geworden, deswegen ist das nicht ungewohnt. Und auch nachdem ich dann anfing, selbst Filme zu inszenieren, habe ich zwischen den Projekten immer wieder Drehbücher für andere geschrieben. Ich kann die beiden Sachen gut voneinander trennen. MIT SIEBZEHN war für mich eine ungewohnte Angelegenheit, weil ich gemeinhin eher mit Filmemachern meiner Generation kollaboriere, oft bei Erstlingsfilmen. Jemand von seinem Kaliber und seiner Erfahrung – das war neu für mich. Aber schwierig ist an der ganzen Sache nur, dass ich so beschäftigt bin. Für mich selbst habe ich seit BANDE DE FILLES, also im Grunde seit vier Jahren, keine einzige Zeile mehr geschrieben.

Ihre Arbeitsweise ist also in jedem Fall die gleiche?

So würde ich das dann auch nicht sagen. Natürlich bin ich noch ein bisschen mehr persönlich involviert, wenn ich für mich selbst schreibe. Das ist ein wenig romantischer, aber auch anstrengender, weil ich dann von viel mehr Zweifeln geplagt bin. Wenn ich mich in den Dienst eines anderen Regisseurs stelle, bin ich dagegen ganz ruhig und selbstsicher. Dass ich selbst Erfahrungen auf dem Regiestuhl habe, hilft mir, weil ich seine oder ihre Position mitbedenke. Gleichzeitig weiß ich genau, was meine Aufgabe ist und halte die Regisseurin Sciamma entsprechend aus dem Spiel.

Beim Dreh sind Sie nicht dabei?

Oh nein. Wenn das Skript fertig ist, war es das von meiner Seite!

Bekommen Drehbuchautoren eigentlich den Respekt, den sie verdienen?

Nein, das tun sie nicht. Muss man wirklich so sagen. Ich kann nicht für Hollywood sprechen, das ist ein ganz anderes System. Aber in Frankreich braucht man den Autor, um überhaupt Geld für einen Film zu bekommen. Ohne Drehbuch findet man keine Produktionsfirma, keine Förderung, gar nichts. Doch weil das Geld eben erst einmal beschafft werden muss, wird man erst einmal nicht bezahlt. Wir sprechen also von sehr viel und sehr essentieller Arbeit für sehr wenig bis gar keiner Bezahlung. Das ist in der Branche ein zusehends heftiger diskutiertes Thema, bei dem wir Autoren langsam etwas mehr Druck machen müssen.

Hat das damit zu tun, dass gerade das französische Kino so sehr den Auteur feiert, also den Filmemacher, der Regisseur und Autor gleichzeitig ist?


Das mag sein, doch genau dieses Bild vom Auteur ist ein Mythos. Seit es das Kino gibt, werden Drehbuchschreiber engagiert, und das war selbst in der Nouvelle Vague nicht anders. Aber nie war die Diskrepanz zwischen der Wichtigkeit des Autors und dem Geld sowie der Wertschätzung, die er dafür bekommt, größer. Eben weil mehr denn je dieser Finanzierungsprozess auf der Qualität des Drehbuchs basiert.

Sie können sich doch aber über Wertschätzung nicht beschweren, oder?

Da haben Sie Recht. Bei mir läuft es gut, und ich weiß das sehr zu schätzen. Aber gerade weil ich mich in einer privilegierten Position befinde, muss ich mich umso lauter für meine Kollegen und Kolleginnen einsetzen.

Ich werde sicherlich nicht mein Leben lang Filme über Jugendliche drehen.

Neben MIT SIEBZEHN läuft aktuell auch noch ein zweiter Film in den Kinos, der auf einem Ihrer Drehbücher basiert: der Animationsfilm MEIN LEBEN ALS ZUCCHINI...

Auf den bin ich mindestens genauso stolz, denn ich liebe Animationsfilme und hätte in meinen kühnsten Träumen nicht zu hoffen gewagt, dass ich mal einen schreiben würde. Es ist gar nicht so, dass ich schon als Kind ein riesiger Zeichentrickfan war. Ich bin eher als Erwachsene auf den Geschmack gekommen. Die Filme von Miyazaki zum Beispiel, oder auch die Pixar-Produktionen – das ist ganz großes Kino. Allein das Drehbuch zu ALLES STEHT KOPF ist eines der brillantesten der letzten Jahre. Als die Anfrage kam, ob ich das Skript zu MEIN LEBEN ALS ZUCCHINI schreiben wolle, konnte ich der Gelegenheit nicht widerstehen, diese ganz neue Welt für mich zu entdecken.

Schreibt man eine Geschichte anders, wenn sie später animiert wird?

Darüber habe ich mir anfangs gar keine Gedanken gemacht. Ich bin einfach an die Arbeit gegangen wie sonst auch und habe den Film geschrieben wie jeden anderen. Die Animation habe ich einfach ausgeblendet, auch weil ich mir dachte, dass es dem Regisseur Claude Barras ja genau darum ging. Hätte er jemanden gewollt, der sich mit Zeichentrick auskennt, hätte er nicht mich angefragt. Doch im Nachhinein war ich diesbezüglich ein bisschen naiv.

Wie meinen Sie das?


Mir wurde das erst so wirklich bewusst, als ich den Film dann gesehen habe. Denn alles war so, wie ich es geschrieben hatte. Das ist bei einem Realfilm natürlich nie der Fall, denn da wird immer etwas improvisiert und verändert. Bei einem Animationsfilm ist das natürlich nicht möglich. Die Verantwortung der Autorin ist also ungleich größer. Sollte ich noch einmal die Möglichkeit bekommen, in diesem Bereich zu arbeiten, würde ich mir das von Anfang an bewusst machen.

Würde Sie das eigentlich auch als Regisseurin interessieren: mal etwas ganz Neues auszuprobieren? Oder bleiben Sie den kleinen, sehr persönlichen Coming-of-Age-Filmen treu?


Selbstverständlich will ich neue Wege einschlagen. Ich werde sicherlich nicht mein Leben lang Filme über Jugendliche drehen. Einige der Drehbücher, an denen ich zuletzt gearbeitet habe, waren vollkommen andere Geschichten. Und ich würde es unglaublich spannend finden, zum Beispiel mal einen Thriller zu inszenieren. Oder, wie es meine gute Freundin Rebecca Zlotowski letztes Jahr mit PLANETARIUM getan hat, ein historisches Drama auf die Leinwand zu bringen – und dafür acht Millionen Euro zur Verfügung haben. Da steht einem dann als Regisseurin plötzlich eine ganz neue Spielzeugkiste zur Verfügung, um es mal so auszudrücken. Aber ich würde mich sicherlich nicht für eine anonyme, austauschbare Blockbuster-Produktion anheuern lassen. Auch bei einem größeren Film würde ich immer dafür sorgen, dass er am Ende so persönlich wie möglich ist.

Interview: Patrick Heidmann