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Filme für die Kinopause: The Nightingale

Kompromisslose Leinwanderscheinung

Es gibt Filme, die weh tun und trotzdem ein Herz haben. Filme, die sich unbequemen Wahrheiten stellen und bei aller Brutalität der Lebenswirklichkeit dennoch den Blick frei halten für die Kraft menschlicher Güte und die Magie der Natur, in der sich die harsche Realität eingenistet hat. THE NIGHTINGALE von Jennifer Kent ist so eine kompromisslose Leinwanderscheinung. Anders als in ihrem beeindruckenden modernen Horrordebüt mit THE BABADOOK inszeniert die Australierin diesmal ein düsteres Rape-Revenge-Drama, dass im australischen Outback während der Kolonialzeit spielt. Zwar kommen auch hier immer wieder Genreelemente zum Tragen, doch geht es in erster Linie um das Spannungsverhältnis von Unterdrückung und Ermächtigung, von Gesetzesherrschaft und Willkür. Ihre Protagonistin ist die junge Irin Clare (Aisling Franciosi), die sich mit Hilfe eines indigenen Guides (Baykali Ganambarr) durch die Wildnis schlägt, um den Soldaten zu finden, der sie vergewaltigt und ihren Mann und ihr Baby getötet hat. Auf der Suche müssen beide zunächst einmal etliche Vorurteile gegenüber dem jeweils anderen überwinden, um schließlich zu erkennen, dass sie am Ende gegen die gleichen Dämonen kämpfen. Aus dem unfreiwilligen Paar, das sich auf der Reise behutsam anfreundet, entwickelt der Film bald eine ganz eigene, seltsame, innere Dynamik, die gekonnt zwischen Schrecken, Auflehnung und Poesie changiert. Während es ihrer jungen Hauptdarstellerin gelingt, die Last der ganzen Welt auf ihren schmalen Schultern zu tragen, versteht es Kent zudem, die immer wieder unverhofft und brachial einbrechende Gewalt effektiv auszuloten, die das Geschehen in THE NIGHTINGALE von der ersten bis zur letzten Einstellung durchzieht. Ein wütender, ein wichtiger Film, der unter die Haut geht.



Pamela Jahn