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Interview

"Es war, als habe ein Blitz eingeschlagen"

Interview mit Susanna Fogel über CAT PERSON

Susanna Fogel begann ihre Karriere mit der Rom-Com LIFE PARTNERS (2014), war am Drehbuch der Highschool-Komödie BOOKSMART (2019) beteiligt, und schrieb das Drehbuch und führte Regie bei THE SPY WHO DUMPED ME (dt. Titel: Bad Spies, 2018), bevor sie sich dem Fernsehen zuwandte und unter anderem Episoden für „Flight Attendant“, „The Wilds“ und „Utopia“ drehte. Mit dem zwischen Highschool-Comedy und Arthousedrama angesiedelten CAT PERSON kehrt sie zum Kino zurück.

Patrick Heidmann hat sich mit Susanna Fogel über CAT PERSON unterhalten.


INDIEKINO: Ms. Fogel, Kristen Roupenians Kurzgeschichte „Cat Person“ erschien 2017 erstmals im Magazin The New Yorker und sorgte für viel Aufsehen. Sie haben die damals sicher auch gleich gelesen, oder?

Susanna Fogel: Klar, und ich weiß noch, wie erstaunt ich war, dass der New Yorker tatsächlich eine solche Geschichte druckt. Junge Frauen, die aus der Beobachterperspektive hyperrealistisch über ihre Erfahrungen schreiben, kommen in dem Magazin sonst eher selten vor. Besonders spannend waren dann aber natürlich die heftigen Reaktionen, die die Kurzgeschichte auslöste. Die hitzigen Diskussionen, die da geführt wurden, entwickelten sich ja praktisch zu einem ganz eigenen Meta-Narrativ, das sich über das der Geschichte selbst legt.

Was genau meinen Sie?

Dass Kristens Geschichte toll geschrieben und eindrucksvoll war, erkannte ich sofort. Aber die kulturellen Nachwirkungen, die sie auslöste, habe ich nicht kommen sehen. Das war ja, als habe ein Blitz eingeschlagen, der eine echte gesellschaftliche Spaltung offenkundig machte. In jener Zeit wurden viele Diskussionen über Männer und Frauen, Dating, Übergriffigkeit und ähnliches oft eher einseitig geführt. Aus beiden Richtungen meldeten sich lautstark die extremsten Stimmen – und dazwischen saß eine schweigende Mehrheit, die sich nicht wirklich traute, etwas zu sagen. Plötzlich gab es dann „Cat Person“, diese Geschichte, in der es gerade um die Grautöne, die Unklarheiten und die offenen Fragen ging – und da konnte mit einem Mal jeder dran anknüpfen.

Das Kino, zumal das amerikanische, ist nicht unbedingt dafür bekannt, viel übrig zu haben für Ambiguität. Wie schwer war es, genau diese Uneindeutigkeit auf die Leinwand zu bringen?

Leicht war es auf jeden Fall nicht. Und kann es vermutlich auch nicht sein, weil man beim Film anders als in der Literatur nicht alles den Projektionen des Publikums überlassen kann. In der Kurzgeschichte ist Robert vor allem das, was die Leser*innen durch die Angaben der Erzählerin in ihm sehen. Im Film ist er nun aber eine handelnde Figur – und es gibt einen Schauspieler, dem ich auf Nachfrage erklären können muss, warum sich diese Figur wie verhält. Deswegen mussten wir immer wieder neu ausbalancieren, wo wir konkreter werden mussten und wo wir Elemente weiter im Vagen halten konnten.

Dazu gehört auch, dass Sie das Ende der Geschichte verändert haben. Der Text hörte damals mit einer Textnachricht des kurz vorher noch schwer verknallten Mannes auf. Der knappe Wortlaut: „Hure“. Ihr Film geht nun nach dieser SMS noch weiter …

Über dieses Ende war sowohl viel gesprochen und diskutiert worden, dass ich den Eindruck hatte, noch etwas anderes zu brauchen. Auch aus erzählerischer Sicht. In der Geschichte ist diese letzte Textnachricht ein echter Abschluss, quasi das Ausrufezeichen am Ende des Satzes, der ihre Interaktion war. Doch in der Realität ist ja der Kontaktabbruch nicht automatisch das letzte Wort. Manchmal bleibt es nicht aus, dass man einem Menschen auch nach einem solchen Akt verbaler Aggression wiederbegegnet. Und das wirft neue Fragen auf: bedeutet eine solche Nachricht, dass diese Person auch tatsächlich physisch gewalttätig und gefährlich ist? Oder verliert man nur am Telefon Hemmungen, die man sonst sehr wohl hat? Das wollte ich etwas näher unter die Lupe nehmen.

Das neue Ende gibt Ihnen außerdem die Möglichkeit, noch ein wenig mehr mit Genre-Elementen zu spielen, nicht wahr?

Das hatte sicherlich auch damit zu tun. Ich mochte wirklich sehr, wie Kristens Geschichte endete und aufgebaut war. Aber sie eins zu eins zu verfilmen, hätte bedeutet, dass man das als winzige Independent-Produktion macht, die eigentlich nur um die Gefühle und Gedanken der Protagonistin Margot kreist und am Ende bloß von ein paar Frauen geguckt wird. Was ich bedauerlich gefunden hätte, denn der Text hatte ja auch viele Reaktionen von Männern heraufbeschworen. Das Drehbuch von Michelle Ahsford, das ich dann noch bearbeitet habe, war deswegen echt clever, weil ihr ausgebautes, erweitertes Ende dabei half, dass Robert deutlich mehr Raum einnimmt in der Handlung. Und so traurig und sexistisch es klingt: Genau so etwas ist noch immer nötig, um nicht nur ein rein weibliches Publikum anzulocken.

Jetzt wird es allerdings höchste Zeit für die Grauzonen und komplexe Sachverhalte.

Die Geschichte erschien im Dezember 2017, ein paar Monate nachdem die #MeToo-Bewegung begonnen hatte. Damals fingen wir gerade erst an, ausführlich öffentlich über Themen wie sexuelle Belästigung, toxische Männlichkeit oder einvernehmliches Handeln zu sprechen. Sechs Jahre später sollten wir diesbezüglich als Gesellschaft eigentlich weiter sein. Kann „Cat Person“ als Film noch solche Diskussionen auslösen wie damals die Kurzgeschichte?

Zunächst einmal hat der Film heute den Vorteil, dass Mädchen, die damals 13 Jahre alt waren und sicherlich nicht den New Yorker gelesen haben, nun auf diesem Wege die Geschichte kennen lernen werden. Aber auch sonst denke ich nicht, dass unsere Adaption nun irgendwie zu spät ist. Im Gegenteil: genau wie damals ist es meiner Meinung auch heute wichtig, dass wir mehr über uneindeutige Situationen sprechen und nicht nur über klare Fälle von Fehlverhalten. Es ist vollkommen normal, dass im Kontext von #MeToo das Pendel erst einmal mit Wucht in eine bestimmte Richtung ausschlug und zum Beispiel ganz viele Filme gedreht wurden über Frauen, die sich rächen, und Männer, die zur Verantwortung gezogen wurden. Jetzt wird es allerdings höchste Zeit für die Grauzonen und komplexe Sachverhalte. Gerade weil echte Veränderung lange braucht und all die von Ihnen angesprochenen Themen ja über die letzten sechs Jahre nicht verschwunden sind. Beim Thema Einverständnis gibt es immer noch viele Nuancen, über die viel zu selten gesprochen wird – und da kann ein Film wie CAT PERSON helfen, in dem die Frau eben nicht klar nein sagt und der Mann sich dann darüber hinwegsetzt.

Würden Sie nach ersten Erfahrungen bei Festivals wie Sundance oder jüngst in Zürich sagen, dass Männer und Frauen sehr unterschiedlich auf den Film reagieren?

Tja, das ist natürlich schwer zu sagen, weil gerade bei Filmfestivals das Publikum sich seine Filme ja sehr wohlüberlegt aussucht. Die Männer, die sich in Sundance CAT PERSON angesehen haben, oder auch die Partner meiner Freundinnen sind in der Regel von vornherein sehr offen dafür, sich auf die Perspektive einer Frau einzulassen. Schwer zu sagen also, was der weiße Durchschnitts-Hetero-Mann von der Geschichte hält. Bei den feministischen, progressiven Männern in meinem Umfeld fand ich es jedenfalls immer spannend zu sehen, dass sie nicht nur viel Empathie für Margot hatten, sondern es dann doch auch kleine Momente des Erschreckens gab, wenn sie sich womöglich mal in Robert wiedererkannt haben. Im Übrigen rechne ich auch damit, dass es Frauen geben wird, die es unfeministisch finden, dass wir Robert nicht eindeutig verteufeln, sondern ihn als vielschichtigen Menschen zeigen.

Lassen Sie uns noch kurz über Ihre Schauspieler*innen sprechen. Denn gerade ein Film, in dem das Verhältnis der beiden Protagonist*innen im Zentrum steht, steht und fällt ja mit der Besetzung. Suchten Sie zum Beispiel für Robert gezielt nach einem Darsteller, der seine Partnerin um einen Kopf überragt?

Die Größe war auf jeden Fall ein großes Plus, das Nicholas Braun mitbrachte. Denn sie symbolisiert in gewisser Weise die Stärke und Macht, von der sich viele weiße cis Männern gar nicht bewusst machen, dass sie sie haben. Dadurch gewinnt die Dynamik zwischen den beiden noch eine ganz neue Facette, wenn sie in manchen Momenten Angst vor ihm entwickelt und er geradezu verletzt davon ist, dass sie ihm überhaupt eine Bedrohlichkeit unterstellt. Die Vorstellung, dass eine Person vielleicht die Straßenseite wechselt, wenn er hinter ihr läuft, befremdet ihn und macht ihn wütend, weil er sich doch als einer der Guten versteht. Aber womöglich sind eben diese Wut und Irritation dann schon wieder ein Anzeichen dafür, dass er so gut vielleicht nicht ist.

Also haben Sie Braun tatsächlich engagiert, weil er zwei Meter groß ist?

Mindestens genauso wichtig war mir natürlich, dass er ein enorm rücksichtsvoller und kluger Typ ist, der sich genau über solche Themen unglaublich gerne austauscht. Er ist ein Intellektueller, der sich wirklich mit einem Stoff auseinandersetzt. Außerdem ist er – womöglich auch dank „Succession“ – ein Schauspieler, den andere Männer mögen, was keine Selbstverständlichkeit. Das war hier nicht unerheblich, denn wir wollten ja ermöglichen, dass Männer sich in dieser Figur wiedererkennen und sie nicht von vornherein ablehnen.

Und was sprach im Gegenzug für Emilia Jones?

Sie stellt für mich unter den aufstrebenden jungen Schauspielerinnen in den USA eine Ausnahme dar, weil sie zwar wunderschön ist, aber man ihr trotzdem jederzeit das ganz normale, vollkommen unglamouröse Mädchen abnimmt. Sie ist wirklich verdammt gut darin, junge Frauen zu spielen, wie wir sie alle aus unserem Alltag kennen. Vielleicht auch, weil sie zwar ein Shooting Star ist, aber man sie eigentlich nicht als öffentliche Person kennt. Wer sie sieht, ist nicht abgelenkt davon, dass gestern in der Klatschpresse stand, welchen Jonas Brother sie datet. So jemanden brauchte ich, um Margot glaubwürdig zum Leben zu erwecken.

Interview: Patrick Heidmann

Patrick Heidmann