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Double-Feature: Geist des Aufbruchs

Zwei DEFA Verbotsfilme im Indiekino Club

KARLA und JAHRGANG 45 nahmen 1965 die SED-Reformen beim Wort - und scheiterten.

Eine junge Lehrerin namens Karla wird nach dem Studium in die nordöstliche Provinz delegiert. Voller Tatendrang stürzt sie sich auf ihre Arbeit. Die von ihr unterrichteten Abiturient*innen sieht sie als Partner, nicht als zu formatierenden Nachwuchs. Das muss schiefgehen. Am Ende wird sie strafversetzt, sie steigt in den Zug, um noch weiter im Norden einen zweiten Anlauf zu wagen. Auch der junge, von seinen Freunden und Kollegen nur Al genannte Automechaniker ist auf der Suche nach seinem Platz im Leben. Als er sich dafür ein paar Tage Auszeit nimmt, um seine Position neu bestimmen, schlägt ihm Misstrauen entgegen. Zuletzt entscheidet er sich gegen die Clique und für seine Frau.

Die beiden jugendlichen Helden standen Mitte der 1960-er im Zentrum zweier DEFA-Spielfilme. KARLA von Herrmann Zschoche und JAHRGANG 45 von Jürgen Böttcher wurden verboten. Es ist inzwischen viel geschrieben und diskutiert worden über die Zensurwelle der Jahre 1965 und 1966. Das Thema scheint „ausdiskutiert“. Wirft man jedoch einen Blick auf die betroffenen Filme selbst und auf die Biografien der darin Verwickelten, dann tut sich das ganze Ausmaß dieses Dramas mit aller Wucht erneut auf. Zunächst bedeutete das 11. Plenum des ZK der SED ja ganz konkret das Ende einer zu Innovation fähigen ostdeutschen Filmproduktion. Die DEFA verlor damals den Anschluss an die Weltfilmkunst. Die verbotenen, verstümmelten und für Jahrzehnte weggeschlossenen Filme atmen jedoch noch immer den Geist des Aufbruchs. Einige von ihnen bewegten sich damals ganz auf Augenhöhe der Neuen Wellen in West- und Osteuropa. Die beiden Filme von Zschoche und Böttcher gehören dazu.

Spannend und zugleich tragisch ist dabei, dass sich in den Figuren das Scheitern der Filme bereits vorzeichnet. Im Unterschied zur politischen Realität wird ihnen jedoch ein Hintertürchen offengelassen. Karla wählt nach der Konfrontation mit der Schulverwaltung den Kompromiss: Sie wird keineswegs zur Aussteigerin, unternimmt entgegen der eben durchlaufenen Erfahrung einen zweiten Versuch. Auch Al widersteht den Verlockungen eines ungebundenen Lebens. Wie die anderen, dem „Kahlschlag“-Plenum zum Opfer gefallenen Filme, waren KARLA und JAHRGANG 45 eher Gesprächsangebote als oppositionelle Statements. Streng genommen verstanden sie sich als „systemerhaltend“ - in dem Sinne, dass sie keine andere Gesellschaftsform, sondern eine bessere DDR anstrebten. Ihre Held*innen wie Macher*innen hatten die vorsichtigen Reformansätze in der DDR beim Wort genommen. Ihr doppeltes Scheitern war quasi systemimmanent.

Sieht man heute die im Glauben an die Veränderbarkeit des DDR-Sozialismus entstandenen Werke gemeinsam mit Menschen, denen die entsprechende biografische Erfahrung fehlt, so fällt es mitunter schwer, die in den Filmen waltende Innovation zu erklären. Der Schlüssel für ihre bis heute unverbrauchte Energie liegt jedoch weniger im Inhalt als in der Form. Bei KARLA entwickelt sich aus dem Zusammenspiel der ausgezirkelten Schwarzweiß-Cinemascope-Kamera (Günter Ost) und dem quirligen, zwischen Innehalten und Ausbruch pendelnden Spiel von Jutta Hoffmann ein faszinierender Kunstraum, der die Enge immer deutlicher spürbar werden lässt. In JAHRGANG 45 ist es vor allem die scheinbar beiläufige Zeichnung der Figuren, ihr Eingebettetsein in alltägliche Umgebungen, die Verweigerung gegenüber dem sonst übermächtigen, kunstgewerblichen Szenen- und Maskenbild der DEFA, die den Film zu einem Solitär hat werden lassen. Weder vor- noch nachher konnte sich die Symbiose des Malers Strawalde mit dem Dokumentarfilmer Böttcher derart eindrücklich entfalten.

Als Double-Feature ab sofort im Indiekino Club

Claus Löser