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Berlinale VII: Die unmöblierten Räume von Lolas Psyche

Wettbewerb: DER BODEN UNTER DEN FÜSSEN

Lola ist Unternehmensberaterin. Ihr Leben findet in den generischen Nichträumen der internationalen Geschäftswelt statt. An Flughäfen, in Hotelzimmern, in unvollständig eingerichteten Übergangsbüros. Ihre Gesprächspartner sind ihre Geschäftspartner und oft sind sie nicht einmal zugegen. Ihre Liebhaberin ist ihr Boss Elise. Wenn die anderen nach Hause gehen, arbeitet Lola weiter, die glatten Oberflächen und die teuren Kostümpanzer sind ihr lieber, als die Konfrontation mit ihrer Schwester Conny, die daheim in Wien nach einem Selbstmordversuch in der geschlossenen Psychiatrie betreut wird. Ihren Zustand möchte Lola am liebsten gar nicht so genau wissen. Zum behandelnden Arzt hat Lola gesagt „Sie hat sich in der Dosis vertan, das passiert öfter“. Der ist nicht überzeugt: “Sie hat 120 Tabletten genommen“.

Hier die aufgeräumte Karriereschwester, dort die kaum allein lebensfähige Psychoschwester. Diese Trennung, die Lola ungeheuer wichtig ist, weicht Marie Kreutzer im Verlauf des Films immer weiter auf. Lola erhält immer wieder flehende Anrufe von Conny. Sie werde festgehalten, die würden versuchen, sie umzubringen. Lange unternimmt sie nichts, denn die Paranoia passt perfekt in Connys Krankheitsbild. Lola gibt sogar vor, in einem Meeting zu sein, um nicht weiter sprechen zu müssen. Als sie sich dann doch die Zeit nimmt, mal zurückzurufen, erfährt sie, dass Conny auf keinen Fall Zugang zu einem Telefon hat. Ist Conny etwa ausgerissen oder hat Lola Halluzinationen? Versucht Chefin Elise, sie abzuservieren oder ist das auch bloß Paranoia? In die ultra-kühle, reduzierte Erzählung streut Kreutzer immer mehr solcher Unsicherheiten ein und spitzt sie bewusst nicht zu. Was genau los ist, bleibt unklar, aber nach und nach ist es Lolas Psyche, um die man sich sorgt.

In DER BODEN UNTER DEN FÜSSEN sind die geordneten, weitgehend unmöblierten Räume Ausdruck von Lolas Psyche, die zunächst so aufgeräumt wirkt, in Wirklichkeit aber nur alles Unordentliche in ihrem Leben an die Ränder des Gesichtsfeldes verdrängt hat. Die Simulation von Ordnung ist trügerisch, wie sich etwa in der Szene herausstellt, als Lola an ihren derzeitigen Einsatzort Rostock zurückfliegt und im Hotel Elise nicht mehr antrifft. Hinter der Tür, hinter der Elise sein sollte, ist auf einmal ein fremder Mann. Das Verdrängte lässt sich nicht Aufräumen-mit-Marie-Kondo.

Vielleicht ist es aber auch andersherum. Vielleicht sind die Räume in DER BODEN UNTER DEN FÜSSEN gar nicht Ausdruck von Lolas Seele, sondern die Risse in Lolas Seele wurden ihr von der Welt der Hotels und Flughäfen und 48-Stunden-Tage und Karrierekurven erst zugefügt, von einer Welt in der alles corporate und nichts persönlich ist, in der eine alleinerziehende Mutter ein „Detail“ ist, wenn es um die Gewinnoptimierung eines Unternehmens geht. Vielleicht sind die Risse wertvoller als die Ordnung.

Weitere Vorführungen:
10.2. um 18 Uhr im Friedrichstadtpalast
10.2. um 21 Uhr im Haus der Berliner Festspiele
17.2. um 13.30 Uhr im Haus der Berliner Festspiele

Hendrike Bake