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Zama

Verrottende Kolonialherrschaften

Im Südamerika des 18. Jahrhunderts wartet ein Offizier der spanischen Krone jahrelang auf eine Beförderung, die ihn an einen besseren Ort bringen wird. Als diese nicht kommt, beschließt er, zum Rebellen zu werden.

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Der Kolonialbeamte Don Diego de Zama (Daniel Giménez Cacho) steht am Fluss und betrachtet das unspektakuläre Panorama. Als er sich umdreht, ist es, als würde ihn das Land auslachen. Er hört ein Kichern, kann es aber nicht verorten. Dann zeigt das Bild eine Gruppe nackter indigener Frauen, die sich vor dem Baden mit Schlamm einreiben, während sie Spanisch lernen. Zama beobachtet sie heimlich, bevor sie ihn entdecken und verspotten.

Lucrecia Martels Verfilmung des gleichnamigen Romans des argentinischen Autors Antonio di Benedetto aus dem Jahr 1956 erzählt die Kolonialgeschichte Südamerikas in fast beiläufigen, fast surrealen Episoden, fast wie einen Fiebertraum, aber das langsame Verrotten des „Corregidors“ (Magistrats) Don Diego di Zama in der paraguayischen Provinz bleibt stets der Realität verhaftet. Zama will angeblich nach Hause, wo er Frau und Kind hat. Er hofft auf eine Versetzung und eine Empfehlung des Gouverneurs, die immer wieder aufgeschoben wird. Zama hält das Land, das ihn umgibt für eine Zwischenstation, und versteht nicht, dass er auch deshalb nie eine Chance haben wird, seinen Posten zu verlassen, und dass alles, was er tut, ihn stärker bindet. Er versucht Geld zu verdienen, aber sein Partner stirbt an der Cholera. Er stellt der Tochter des Schatzmeisters nach, wohl mindestens so sehr aus erotischem Interesse, wie in der Hoffnung auf gesellschaftlichen Aufstieg und weil er glaubt, dass es von ihm erwartet wird. Dass ihm der Bordellbesitzer sagt, es sei ja bekannt, dass Don Diego di Zama nur weiße Frauen schätzt, hält Zama für ein Kompliment, statt für Spott, obwohl er einen Sohn mit einer indigenen Frau hat, und er jede Frau mit Blicken entkleidet. So auch die junge, vermutlich indigene Tochter einer Familie, die bei Zama mit dem Anspruch auf eine „Encomienda“ – die Anvertrauung von Landstücken mitsamt der darauf lebenden Bevölkerung an Kolonialisten – vorstellig wird. Das Land hat die Familie bereits, aber weil sie behauptet, alle feindseligen Indigenen vertrieben oder ermordet zu haben, benötigt sie 40 Sklaven. Zama verspricht sie ihnen, obwohl die Menschen erst noch versklavt werden müssen, und der Anspruch der Familie unter dem brutalen Gesetz zweifelhaft ist. Die Sklaverei ist in ZAMA allgegenwärtig, dabei bleiben die Sklaven fast immer stumm, nur in ihren Blicken spielt sich ein Drama ab, für das Zama selbst blind ist.

ZAMA ist ein tückischer Film, der kaum eine Geschichte erzählt, obwohl es schließlich eine Jagd auf einen mythischen Banditen gibt. Auf Festivals und unter Kritikern gefeiert, hat Martels Film in den USA wenig Liebe unter Zuschauern ausgelöst, denn einen typischen Spannungsbogen gibt es nicht. Der Film funktioniert ein wenig wie ein Witz, den man erst versteht, wenn alle schon gelacht haben, und ein wenig wie Zamas eigene Verblendung, die ihn irgendwann auch körperlich verstümmelt zurücklässt. Hier geschieht das Entscheidende immer am Rande, manchmal auch außerhalb des Bildfeldes, während die Kamera auf Zama konzentriert bleibt. Während der Film immer wieder den Anschein erweckt, sich für das Schicksal des Don Diego zu interessieren, verhandelt er tatsächlich eine stoische Geschichtsphilosophie. Der Abstieg und das langsame Verrotten des Kolonialbeamten ist eigentlich eine optimistische, fast komische Idee. Ein gefolterter Indigener, der schließlich von Zamas Konkurrenten entlassen wird, erzählt statt eines Geständnisses eine Fabel von einem Fisch, den das Meer nicht in sich haben und ans Ufer werfen will, und der deshalb dauernd in Ufernähe hin und her schwimmen muss. Zama versteht nicht, dass er der Fisch ist, und die Fabel steht für ein wirkliches Geständnis: Sie ist ein Bekenntnis zu einem langen, beharrlichen Widerstand, der den Eindringling zu Tode ermüden wird.

Der Romanautor Antonio di Benedetto wurde tatsächlich selbst vom faschistischen argentinischen Militärregime verhaftet und gefoltert. ZAMA hatte er aber schon zuvor geschrieben, als ahnte er, was kommen wird. Lucrecia Martels Film hält auch einige visuelle Instant-Belohnungen bereit, aber die volle Wucht des großartigen Werks offenbart sich erst im Nachhinein, wenn die flüchtigen Eindrücke allmählich ins Hirn sickern und sich eine Fülle von Motiven offenbart.

Tom Dorow

Details

Argentinien/ Spanien/ Frankreich/ Holland/ USA 2017, 115 min
Genre: Drama
Regie: Lucrecia Martel
Drehbuch: Lucrecia Martel
Kamera: Rui Poças
Schnitt: Karen Harley
Verleih: Grandfilm
Darsteller: Daniel Gimenez Cacho, Lola Dueñas, Juan Minujín, Rafael Spregelburd
FSK: 12
Kinostart: 12.07.2018

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