Ein britischer Badeort in den 1920ern wird von einem Skandal erschüttert: Anonyme Briefe voller Obszönitäten flattern ins Haus der Familie Swan. Adressiert sind sie an Edith Swan (Olivia Colman), eine fromme Christin, die sich aufopfernd um ihre ebenfalls tiefreligiösen Eltern kümmert. Nebenan wohnt die alleinerziehende Rose Gooding (Jessie Buckley), die mit ihrer Tochter und einem Liebhaber aus dem verhassten Irland hergezogen ist. Eine Freundschaft zwischen den Nachbarinnen könnte nicht unwahrscheinlicher sein und scheitert, bevor sie richtig begonnen hat – natürlich am Geschwätz der Leute. Als mehr und mehr der exzentrischen Beschimpfungen bei Edith eintreffen, scheint die Absenderin klar zu sein: Nur die lasterhafte Rose kann Edith eins auswischen wollen. Die einzige Frau unter den Ermittelnden (erfrischend: Anja Vasan) glaubt nicht daran, dass die offensichtliche Hauptverdächtige die schnörkeligen Hassbriefe verfasst hat. Denn wie Rose selbst sagt: Warum würde sie Edith nicht weiter auf offener Straße beschimpfen, statt den Umweg über die Schneckenpost zu nehmen? Gegen den Widerstand von Ediths Vater und nahezu allen auftretenden Männern macht sich Ediths Stammtisch von christlichen Kartenspielerinnen schließlich ans Werk, um die Schuldige(n) zu finden – denn mittlerweile flattern die schmutzigen, kleinen Briefe auch in ihre Häuser. Ein mysteriöses Whodunnit à la Agatha Christie, das zum Miträtseln einlädt, strickt Theas Sharrock mit ihrer Historien-Komödie allerdings nicht. Vielmehr holt die britische Theater- und Filmregisseurin die auf wahren Tatsachen beruhende Brief-Affäre aus dem Archiv, um sie feministisch zu interpretieren – als Trolling und Stalking von vor 100 Jahren, als Frauen noch nicht wählen konnten und andere, unerwartete Wege in die Freiheit suchten.

Anna Hantelmann