Magazin für unabhängiges Kino
Filmwecker
Filmnotiz

Neue Notiz

Victim

Zwiespältige Figuren

Der Sohn der Ukrainerin Irina, die nach Tschechien ausgewandert ist, soll von Roma krankenhausreif geschlagen worden sein. Sofort zerren verschiedenste Interessengruppen, von Neonazis bis zu TV-Journalist*innen, an der Geschichte.

Mehr

Die alleinerziehende Mutter Irina (Vita Smachelyuk) ist gerade in der Ukraine, um Unterlagen für ihren Antrag auf tschechische Staatsbürgerschaft zu besorgen, als ihr Sohn Igor im Treppenhaus ihrer Wohnung in Tschechien schwer verletzt wird. „Waren es Weiße?“, fragt sie ihren Sohn beim ersten Gespräch mit der Polizei im Krankenhaus, er schüttelt den Kopf. Wegen ihrer rassistischen Ressentiments und weil sie mit ihrer Nachbarin (Claudia Dudová), einer Roma, im Streit liegt, glaubt Irina, dass deren Sohn einer der Täter sein muss. „Ein Ukrainer wird von Roma zusammengeschlagen“, heißt es nun. Igors Fall erregt die Aufmerksamkeit von Nazis, die ihn instrumentalisieren wollen. Als der 13-Jährige plötzlich eine ganz andere Version der Geschichte erzählt, ist der Stein längst ins Rollen gebracht. Irina, die um ihr Aufenthaltsrecht bangt, wird mitgerissen.
Im Plattenbau tropft das Wasser von der Decke und der Putz blättert von den Wänden. In VICTIM, dem Spielfilmdebüt des slowakischen Regisseurs Michal Blaško, ist jedes Bid in ausgeblichenen Farben gemalt. Blau und Gelb, die ukrainischen Nationalfarben, sind ein immer wiederkehrendes Motiv, von Irinas Kleidung bis zum Lack eines Treppengeländers. Aus höflicher Distanz, aber sehr hartnäckig folgt die Kamera Irina, die Vita Smachelyuk mit Zurückhaltung und Intensität verkörpert. Auch wenn sie selten über ihre Gefühle spricht, begleiten Angst und Traurigkeit sie bei jedem Schritt. Die Perspektiven anderer, die durch ihr Handeln zu Schaden kommen, sind nur am Rande zu sehen. Die meisten Personen in VICTIM sorgen für zwiespältige Gefühle, allen voran die Hauptfigur, die selbst geflüchtet ist und diskriminiert wird, aber als Weiße trotzdem noch ein letztes Privileg besitzt; die egoistisch handelt und in der Not ihre Menschlichkeit vergisst. Als ihr klar wird, was sie ausgelöst hat, versucht sie sich in Schadensbegrenzung, muss aber merken, dass sich manche Dinge nicht so einfach ungeschehen machen lassen.

Eva Szulkowski

Details

Originaltitel: Obet
Slowakei/Tschechische Republik 2022, 101 min
Genre: Drama
Regie: Michal Blaško
Drehbuch: Jakub Medvecký
Kamera: Adam Mach
Schnitt: Petr Hasalík
Verleih: rapid eye movies
Darsteller: Vita Smachelyuk, Gleb Kuchuk, Igor Chmela, Viktor Zavadil, Inna Zhulina,
FSK: 12
Kinostart: 06.04.2023

Website
IMDB

Vorführungen

Filter
Multiplexe anzeigen

ALLE ANGABEN OHNE GEWÄHR.
Die Inhalte dieser Webseite dürfen nicht gehandelt oder weitergegeben werden. Jede Vervielfältigung, Veröffentlichung oder andere Nutzung dieser Inhalte ist verboten, soweit die INDIEKINO BERLIN UG (haftungsbeschränkt) nicht ausdrücklich schriftlich ihr Einverständnis erklärt hat.