Magazin für unabhängiges Kino
Filmwecker
Filmnotiz

Neue Notiz

Verteidiger des Glaubens

Verkommener Charakter

VERTEIDIGER DES GLAUBENS über Joseph Ratzinger ist die Geschichte einer konsequenten Verbrecherkarriere und das Porträt eines abgrundtief verkommenen Charakters.

Mehr

Christoph Röhl versucht in seinem Dokumentarfilm VERTEIDIGER DES GLAUBENS, aus Joseph Ratzingers Ex-Benedikt-Ideologie und der Struktur der katholischen Kirche heraus zu erklären, warum der massenhafte Kindesmissbrauch durch Priester der Kirche jahrzehntelang geduldet wurde. Röhls Film nimmt eine entschiedene Gegenposition zu Ratzingers eigenen Rationalisierungen ein.

Ratzinger hat noch im April 2019 argumentiertl , die gesellschaftliche Liberalisierung seit 1967 – nach der Veröffentlichung des durch die Gesundheitsministerin Käthe Strobel (SPD) in Auftrag gegebenen Aufklärungsfilms HELGA – habe zu einem Moralverfall geführt, der die Vergewaltigungen durch seine Glaubensbrüder erst möglich gemacht habe. Außerdem bringt Ratzinger den Konflikt zwischen „relativistischen“ Moraltheologen und seinem eigenen dogmatischen Zirkel in Anschlag. Die Liberalen in der Kirche seien verantwortlich. Die Verteidiger der reinen Lehre und Besitzer der absoluten Wahrheit, wie Ratzinger und seine Clique, seien die eigentlichen „Verteidiger des Glaubens“. Und schließlich versucht Ratzinger die vollkommene Volte: Ausgerechnet anhand des Bibelwortes „Wer einen von diesen Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen würde“ verteidigt Ratzinger seinen Schutz für die Täter als Verteidigung des Glaubens: Es sei nicht nur das Recht des Angeklagten wichtig, sondern ebenso wichtig seien „hohe Güter wie der Glaube“. Im Klartext: die Kirche muss zu allererst sich selbst und die Ihren schützen – eine unfassbar perverse Argumentation.

Röhls Film postuliert und belegt die Gegenposition. Nicht nur wusste der Vatikan schon in den fünfziger Jahren, also vor der gesellschaftlichen Liberalisierung, von den Kindervergewaltigungen durch Kleriker, die erzkonservativen Dogmatiker um Karol Wojtyla alias „Johannes Paul II.“ und Ratzinger alias „Benedikt XVI.“ haben aus kirchen- und weltpolitischen Gründen ein System der Korruption und moralischen Verkommenheit aufgebaut, das den massenhaften Kindesmissbrauch erst ermöglicht und die Täter jahrzehntelang protegiert hat. Kirchenintern ging es um die Abwehr liberaler Theologen in Europa und die Zerschlagung der lateinamerikanischen Befreiungstheologie. Dazu unterstützten und beschützten Wojtyla und Ratzinger - zunächst als dessen Präfekt der Kongregation für die Glaubensgemeinschaft und später als Papst-Nachfolger – radikale reaktionäre Sekten wie „Opus Dei“ oder die „Legionäre Christi“. Deren Gründer und Anführer Marcial Maciel hatte ein milliardenschweres Korruptionsgebilde geschaffen, Kardinäle mit persönlichen „Spenden“ bestochen und predigte Verzicht, während er selbst, alkohol- und drogensüchtig, mehrere Kinder zeugte und seriell ehemalige Seminaristen vergewaltigte. Mindestens zwei der zahlreichen Anzeigen gegen Maciel gingen direkt bei Ratzinger ein, der die Angelegenheit, vermutlich in Wojtylas Auftrag, unter den Tisch kehrte.

Erst nach den Enthüllungen des Boston Globe über den massenhaften Kindesmissbrauch in den USA und nach den Studien der irischen Regierung, die die gleiche Praxis unter irischen Priestern nachwiesen, und erst nachdem Maciel seine Sexpartnerin und eine seiner Töchter mit zu einer Jubliäumsfeier in den Vatikan gebracht hatte, und dort ein kleines Mädchen auf dem Schoß hielt, wurde die Luft für Ratzinger und seine Clique dünn. Ratzinger verhängte eine milde Strafe – Rückzug aus den Kirchenämtern und einen schönen Lebensabend – über Maciel und trat zurück. Dass Ratzinger auch nichts vom massenhaften Missbrauch bei den von seinem Bruder geleiteten Regensburger Domspatzen zu wissen behauptete, ist fast nur eine Randnotiz. VERTEIDIGER DES GLAUBENS ist die Geschichte einer konsequenten Verbrecherkarriere und das Porträt eines abgrundtief verkommenen Charakters.

Tom Dorow

Details

Deutschland/Italien 2019, 90 min
Sprache: Deutsch
Genre: Dokumentarfilm
Regie: Christoph Röhl
Drehbuch: Christoph Röhl
Kamera: Juan Sarmiento G., Julia Weingarten
Schnitt: Martin Reimers
Musik: Ali N. Askin
Verleih: Real Fiction Filmverleih
Darsteller: Ulrich Tukur
FSK: oA
Kinostart: 31.10.2019

Website
IMDB

Vorführungen

Filter
Multiplexe anzeigen

ALLE ANGABEN OHNE GEWÄHR.
Die Inhalte dieser Webseite dürfen nicht gehandelt oder weitergegeben werden. Jede Vervielfältigung, Veröffentlichung oder andere Nutzung dieser Inhalte ist verboten, soweit die INDIEKINO BERLIN UG (haftungsbeschränkt) nicht ausdrücklich schriftlich ihr Einverständnis erklärt hat.