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The Sisters Brothers

Träume von männlicher Freundlichkeit

The Sisters Brothers sind skrupellose Killer. Sie sollen einem Chemiker eine Formel entlocken, die das Schürfen von Gold vereinfacht, und den Mann danach ermorden. Aber der Chemiker sich hat bereits, mit Charme und Freundlichkeit bewaffnet, mit seinen ersten Verfolger befreundet.

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Jacques Audiard ist eigentlich als europäischer Autor eines sehr körperlichen Kinos bekannt. DER GESCHMACK VON ROST UND KNOCHEN über die Beziehung zwischen einem brutalen Straßenboxer und einer beinamputierten Waltrainerin, der Cannes-Gewinner DHEEPAN über einen ehemaligen indonesischen Soldaten, der in den französischen Vorstädten in Bandenkriege gerät, oder A PROPHET über den Aufstieg eines jungen franko-arabischen Mannes zum Oberhaupt einer Gefängnis-Gang waren harte, direkte Filme über körperliche Selbstbehauptung in Extremsituationen. Dass Audiard nun in den USA einen Western gedreht hat, ist zunächst nicht weiter verwunderlich, umso erstaunlicher ist es aber, dass es in THE SISTERS BROTHERS nicht um harte Kerle geht, die sich durchsetzen, sondern um Männer, die versuchen, ihre Härte abzulegen.

Die Sisters Brothers sind skrupellose Mörder, Kopfgeldjäger und Auftragskiller. Eli Sisters (John C. Reilly) und Charlie Sisters (Joaquin Phoenix) massakrieren auf der Suche nach einem Mann sämtliche Bewohner einer einsamen Farm. Der Gesuchte ist nicht darunter. „Das haben wir ja wohl verbockt“ ist der lakonische Kommentar, das nächste Mal wird besser gekillt. Ihr Auftraggeber ist der mysteriöse „Kommodore“, der für den nächsten Job den impulsiven Charlie zum Chef ernennt, obwohl die Sisters Brothers ohne den umsichtigeren und eigentlich sehr sensiblen Eli kaum eine Nacht überleben würden. Ihr nächster Job: Sie sollen dem Goldprospektor und Chemiker Herman Kermit Warm (Riz Ahmed), der angeblich eine extrem effektive Methode des Goldschürfens entwickelt hat, die geheimnisvolle Formel entlocken und ihn danach beseitigen. Der Journalist John Morris (Jake Gyllenhaal), ebenfalls in Diensten des Kommodore, ist Warm auf den Fersen und hat die Aufgabe, ihn solange festzusetzen, bis die Brüder die Schmutzarbeit übernehmen.

Zunächst aber lernen wir die Dynamik zwischen den Brüdern genauer kennen. Während Charlie säuft und mit Huren feiert, bleibt Eli nüchtern und sehnt sich nach seiner großen Liebe. Eine Saloon-Prostituierte ist von Elis Bitte, die Szene nachzuspielen, in der seine Geliebte ihm ein Halstuch für die Reise schenkt, so gerührt, dass sie aus dem Zimmer rennt, aber den Brüdern immerhin ein Mordkomplott verrät. Eli beschützt Charlie, der ein großes Kind geblieben ist. Zugleich begegnen sich der Chemiker Warm und der verhinderten Poet John Morris, der sich nur bedingt als Menschenjäger eignet. Warm spricht Morris so freundlich und sanftmütig an, dass der sofort dem Charme des Prospektors erliegt: „Mir ist aufgefallen, dass ihr Lächeln auf dem Gesicht verbleibt, auch wenn sie Menschen nicht mehr ansehen. Es bereitet ihnen wirkliche Freude, Menschen zu begegnen.“ Und so verschiebt sich allmählich die Geschichte von zwei superharten Killern zu einer von Männern, die ihre sanfte, ehrliche und freundliche Seite entdecken, bis sie schließlich eine kleine Utopie im Westen errichten, in der einst harte Männer darüber sprechen, warum sie so hart geworden sind, und wie schön es wäre, anders sein zu dürfen.

Die Geschichte der zahlreichen utopischen und sozialistischen Gemeinschaften in den USA des 19. und frühen 20. Jahrhundert ist im Kino noch nicht erzählt worden, und auch in Audiards Film geht es kaum über den Traum hinaus. Aber immerhin wird bei Audiard geträumt, in einer Top-Besetzung, die offensichtlich großes Vergnügen daran hat, Rollenklischees zu durchbrechen. THE SISTERS BROTHERS macht Spaß, es fehlt allerdings der typische Audiard-Touch, diese energischen, verspannten Bilder. Es wirkt beinahe, als sei Audiard in Hollywood plötzlich tiefenentspannt unterwegs und schüttele klassisches Erzählkino aus dem Handgelenk.

Tom Dorow

Details

USA/Frankreich/Rumänien/Spanien 2018, 120 min
Sprache: Englisch
Genre: Drama, Western
Regie: Jacques Audiard
Drehbuch: Jacques Audiard, Thomas Bidegain
Kamera: Benoît Debie
Schnitt: Juliette Welfling
Musik: Alexandre Desplat
Verleih: Wild Bunch
Darsteller: Jake Gyllenhaal, John C. Reilly, Joaquin Phoenix, Rutger Hauer, Riz Ahmed, Carol Kane
FSK: 12
Kinostart: 07.03.2019

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