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The Dinner

Psychodrama in 7 Gängen

Der Misanthrop Paul Lohman und seine Frau Katelyn treffen sich mit Pauls Bruder Stan, einem Abgeordneten auf dem Weg zum Gouverneur, und seiner Frau Claire zu einem super-luxuriösen 7-Gang-Menu. Das Essen ist eine Krisensitzung: Die beiden Söhne der Lohmans haben eine wehrlose obdachlose Frau überfallen. Noch wissen nur die Eltern, dass sie die Täter sind.

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Manchmal sieht man beim Lesen eines Buches vor sich, wie der zugehörige Film aussehen würde. Bei THE DINNER ist es umgekehrt. Beim Sehen ahnt man, wie das zugehörige Buch - das es tatsächlich gibt, ich aber nicht kenne - sich wohl liest. Ich denke, es ist dick. Es enthält sehr genaue Personenbeschreibungen, die vielfältige, widersprüchliche Ebenen von Wahn, Trauma und Kindheitsprägungen offenbaren. Möglicherweise enthält es innere Monologe. In den individuellen Schicksalen der Hauptpersonen spiegeln sich Geschichte und Gegenwart der USA. Genauer: die Gewalt der Staatsgründung verfolgt auch die Nachfolger der Pioniere noch immer, namentlich den Geschichtslehrer mit Gettysburg-Obsession Paul Lohman.

Eigenartigerweise hat diese historisch-politische These von THE DINNER erst richtig Gestalt und Sinn für mich angenommen, als ich mir das Buch zum Film vorgestellt habe. Im Film erschien sie mir eher als Zugabe, die ein ausgezeichnetes Psychodrama unnötig verkompliziert und in die Länge gezogen hat. Das Drama trägt sich an einem einzigen Abend zu. Der geistreiche Misanthrop Paul Lohman und seine stets versöhnliche Frau Katelyn treffen sich mit Pauls Bruder Stan, einem Abgeordneten auf dem Weg zum Gouverneur, und seiner Frau Claire zu einem super-luxuriösen 7-Gang-Menu. Während Paul schon vorher keine Lust auf die „Hominiden“ hat und sich im Restaurant zunächst weigert, derart teuren Champagner zu trinken, rauscht Stan mit Entourage an und organisiert nebenher noch 15 Ja-Stimmen für seinen Gesetzentwurf, der am Tag darauf abgestimmt werden soll. Die beiden Frauen vermitteln, besänftigen und halten den Anschein eines geselligen Abends aufrecht – zumindest am Anfang.

In Wirklichkeit ist das Essen aber eine Krisensitzung: Die beiden Söhne der Lohmans haben eine wehrlose obdachlose Frau überfallen. Noch wissen nur die Eltern, dass sie die Täter sind und sie müssen entscheiden, wie sie mit diesem Wissen umgehen. Im Verlauf der sieben Gänge wird in klug verschachtelten Rückblicken der Tathergang erzählt, und die Genese der frei fließenden Aggressionen zwischen den vier Erwachsenen wird Schicht für Schicht freigelegt. Pauls psychischer Zusammenbruch kommt auf den Tisch, Katelyns Krebserkrankung, Stans Beziehungsunfähigkeit, die Adoptivkinder seiner ersten Frau, Szenen aus Pauls und Stans Kindheit…

Das ist eine Menge Holz und nimmt dem Film nach einem schwungvollen Start etwas die Luft. Ich weiß nicht, ob die Filmvariante viele Kürzungen im Vergleich zum Buch enthält, aber es hätten ruhig noch mehr sein können. Auch das ganz große Drama im Hintergrund hätte es gar nicht unbedingt gebraucht. Wenn nicht jedes Trauma auserzählt worden wäre, hätten die funkelnden Schauspieler, allen voran Steve Coogan als Ober-Neurotiker Paul, noch mehr Platz zum Funkeln gehabt.

Hendrike Bake

Details

USA 2016, 120 min
Genre: Drama
Regie: Oren Moverman
Drehbuch: Oren Moverman
Verleih: Tobis
Darsteller: Steve Coogan, Richard Gere, Laura Linney, Rebecca Hall
FSK: 12
Kinostart: 19.10.2017

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