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Ruined Heart – Another Lovestory Between A Criminal And A Whore

Punk Noir als Erfahrung

Der Gangster soll auf die Frau vom Boss aufpassen, sie verlieben sich ineinander und werden deswegen verfolgt. Aus dieser simplen Handlung macht RUINED HEART einen Rausch aus Bildern, traumhaft, alptraumhaft, gedeutet und gehalten durch die Musik von Stereo Total, Scott Matthew, den Mabuhay Singers, Hasil Adkins, Buddy Emmons, Bing Austria u.v.a.m.

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Noch eine Liebesgeschichte zwischen einem Kriminellen und einer Hure – wie der Zusatztitel des Films, ANOTHER LOVE STORY BETWEEN A CRIMINAL AND A WHORE, schon verrät, ist die grobe Handlung von RUINED HEART, so banal wie schnell erzählt. Der Gangster soll auf die Frau vom Boss aufpassen, sie verlieben sich ineinander und werden deswegen verfolgt, die Sache nimmt kein gutes Ende. Nicht so leicht erklärt ist die filmische Form, die diese Liebesgeschichte annimmt. Dialoge spielen eine sehr marginale Rolle, die Handlung verläuft nicht, sie bruchstückt vielmehr vor sich hin, wundersame Metaphorik wechselt sich ab mit hyperrealistischer Schmutzpoesie. Es entwickelt sich ein Rausch aus Bildern, traumhaft geht nahtlos über in alptraumhaft und alles wird gedeutet und gehalten durch die Musik, die trotz ihres eklektischen Zusammengewürfeltseins als Rückgrat dieses unvollständigen Puzzles gelten darf. RUINED HEART funktioniert so auch als einstündiger Musikclip zu einem Mixtape, das aus ganz viel Stereo Total, etwas Scott Matthew, den Mabuhay Singers, Hasil Adkins, Buddy Emmons, Bing Austria und den Flippin‘ Soul Stompers sowie dem Pianothema des Regisseurs persönlich besteht. Anders gesagt: es handelt sich eigentlich um eine Oper, Punk Noir nennt ihr Schöpfer sie, sie spielt aber auch psychedelisch mit Pop, Soul und Folk, lässt sich musikalisch so wenig in die Ecke drängen wie filmisch schubladisieren.

Hinter dem Genrebastard steckt der philippinische Undergroundkünstler-in-allen-Gassen Khavn de la Cruz, der nicht nur das Drehbuch geschrieben, sondern selbst mitgespielt hat (den „Pianist“). Obwohl Khavn schon eine lange Liste von Filmen unter dem Gürtel, zahlreiche Dichtungen veröffentlicht und diverse Bands gegründet hat, ist er hierzulande noch zu entdecken. 2012 war er mit PUZONG WAZAK! (DAS ZERSTÖRTE HERZ!), einer Vorversion von RUINED HEART, im Kurzfilm-Wettbewerb der Berlinale zu Gast. Für die Umsetzung der Langfassung konnte er in der Rolle des „Kriminellen“ den japanischen Star Tadanobu Asano (THOR, ZATOICHI) gewinnen. Die Produktion wurde auf deutscher Seite vom Filmlabel Rapid Eye Movies unterstützt, den Spezialisten für asiatisches Kino und Musikfilme. Neben Brezel Göring und Françoise Cactus von Stereo Total ist unbedingt Kameramann Christopher Doyle als wesentlicher Kollaborateur zu nennen. Der Wong-Kar-Wai-Veteran (IN THE MOOD FOR LOVE, CHUNGKING EXPRESS) ist es zwar gewohnt, aus beengten Großstadtverhältnissen poetische Bewegtbilder zu zaubern. Für den Guerilla-style-Dreh in Manila hatte das Team jedoch nur vier Tage Zeit. Umso beeindruckender ist das visuelle Ergebnis, liebevoll-spöttisch beschrieben als „filmed in glorious filipinoscope and technikulay“. Flüssig folgt man den Protagonisten durch die Slumgassen und obskuren Räume, zu Happenings mit Konzerten und Orgien, per Dreirad oder Jeepney, beim Spaziergang und Fangenspiel mit Kinderschar. So manche Einstellung steht buchstäblich kopf, einige Sequenzen werden direkt vom Handgelenk des Hauptakteurs übertragen, der die am Arm montierte Minikamera sowohl als Spiegel beim Nasebohren einsetzt, als auch seinen Trommelwirbel am Drumset damit mitzeichnet.

Der entstehende anarchische Bilderstrudel ist eine Aufforderung, sich von dem Bedürfnis zu lösen, jede Szene narrativ einordnen zu können. Die brutalen Tode werden eher im Off gestorben, es geht um etwas anderes als das Auskosten effektreicher Blood-and-gore-Höhepunkte oder das Vorantreiben einer dramatischen Struktur. RUINED HEART bedient das Gangstergenre beiläufig, während die subjektiv-assoziativen Aufnahmen Möglichkeitsräume für das Fühlen eröffnen. Die Zuschauer sollen verführt werden, sich verlieben, ihre Herzen verlieren. Dabei hilft der wache, zwischen Verwunderung und Amüsement schwebende Blick des „Kriminellen“, der im Gegensatz zum durchgeknallten „Paten“ mit Gottesallüren kein Stück abgestumpft wirkt, vielmehr ständig bereit, sich überraschen zu lassen und sein Herz zu verschenken. Auch auf die Gefahr hin, dadurch ruiniert zu werden.

Anna Stemmler

Details

Originaltitel: Pusong Wazak: Isa Na Namang Kwento Ng Pag-ibig Sa Pagitan Ng Puta At Kriminal
Deutschland/Philippinen 2014, 73 min
Genre: Drama, Musical
Regie: Khavn de la Cruz
Drehbuch: Khavn de la Cruz
Kamera: Christopher Doyle
Musik: Khavn de la Cruz, Scott Matthew
Verleih: Rapid Eye Movies
Darsteller: Tadanobu Asano, Nathalia Acevedo, Elena Kazan, Andre Puertollano, Vim Nadera
FSK: 16
Kinostart: 26.03.2015

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