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Rheingold

Es ist eine Art Distanz zu spüren, ein Bemühen um Neutralität und Zurückhaltung, so als würde der Film sich bewusst jeder Parteinahme enthalten und die Geschichte stattdessen exakt so wiedergeben, wie sie Xatar in seiner Autobiografie festgehalten sehen wollte.

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Der Titel von Fatih Akins neuem Film ist genial. Zunächst beschreibt der Titel ziemlich sachlich, worum es in weiten Teilen geht – um einen Goldraub im Rheinland. Dann verortet er die Geschichte um den kurdischstämmigen Rapper Xatar offensiv als deutsche Geschichte. Und schließlich zeigt der Titel möglicherweise all jenen eine Nase, die Zugewanderte gerne als Kriminelle sehen, bei eigenem Raubgut aber die mythische Überhöhung bevorzugen.

Der Film nach der Autobiografie von Giwar Hajabi, genannt Xatar, fängt auch sehr schwungvoll an. In einem großen epischen Bogen und dabei mit viel Tempo erzählt Akin zunächst die Geschichte der Auswanderung von Giwars/Xatars Eltern aus dem Iran über den Irak nach Frankreich und schließlich nach Bonn im Rheinland. Die Zeitebenen verschränken sich besonders elegant in einer Szene, in der der Teenager Giwar Klavierunterricht bekommt und im Flur seiner Lehrerin seine Mutter putzen sieht. Mit ihrer Arbeit finanziert sie den Kindern eine gute Ausbildung, während der Vater, der kurdische Komponist Eghbal Hajabi, versucht, als Musiker wieder Fuß zu fassen. Im Voice-over erzählt Xatar „Meine Mutter wurde bei den Kurden als Heldin verehrt.“, und der Film springt zurück in der Zeit. Kurze Szenen zeigen, wie die Mutter sich unter Folter weigert, das Versteck der kurdischen Kämpfer*innen zu verraten, und später als Heldin ins Dorf zurückkehrt. Dann sind wir wieder in der Gegenwart, wo sie mit der gleichen Entschlossenheit bei der Klavierlehrerin für die Zukunft ihrer Kinder putzt.

Doch weder sie noch Giwars neues Interesse am Rap können verhindern, dass Giwar auf die schiefe Bahn gerät, zunächst mit Pornos dealt und später mit Drogen. Er fliegt von der Schule, bekommt aufs Maul, wird zum Schläger und zu „Xatar“, einer gefürchteten Kiezgröße. Als er polizeilich gesucht wird, flieht er nach Amsterdam zu Miran, Freund und Verbündeter aus Kindertagen. Offiziell ist er an der Amsterdam Music Academy eingeschrieben, um Musikproduktion zu studieren, aber untertags legt er sich mit der niederländischen Türsteherszene an und dealt weiter Drogen, diesmal für Onkel Jero, einer Art kurdischer Pate.

Während Xatar immer tiefer ins Gangsterleben rutscht, verengt sich der Blick der Erzählung. Die Familie und Giwars Crush Shirin von Gegenüber kommen nur noch im Hintergrund, als mahnende Stimmen vor. Stattdessen geht es von einer Gangsterei unter Brüdern zur nächsten, bis eine Verkettung von Umständen schließlich zu besagtem Goldraub führt – der einerseits schiefgeht und Xatar und seine Freunde ins Gefängnis bringt, andererseits aber dazu führt, dass Xatar noch im Gefängnis seine erste CD aufnimmt, das Album „Nr. 415“. Das ist ebenfalls sehr kompetent erzählt, mit Anklängen an Scorsese und Coppola, hat aber weniger Weite, Wärme und Schwung als der Anfang des Films. Eher ist eine Art Distanz zu spüren, ein Bemühen um Neutralität und Zurückhaltung, so als würde der Film sich bewusst jeder Parteinahme enthalten und die Geschichte stattdessen exakt so wiedergeben, wie sie Xatar in seiner Autobiografie festgehalten sehen wollte.

Heimliche Hauptfiguren des Films sind dagegen Xatars Eltern, die unerschütterliche, prinzipientreue Mutter und der ambivalente aber ebenso liebevoll gezeichnete Vater, ein Künstler und Frauenheld, der seine Familie ins Exil rettet und dann verlässt.

Hendrike Bake

Details

Deutschland 2022
Genre: Drama, Thriller
Regie: Fatih Akin
Drehbuch: Fatih Akin
Kamera: Rainer Klausmann
Verleih: Warner Bros.
Darsteller: Emilio Sakraya, Mona Pirzad, Sogol Faghani, Kardo Razzazi, Ugur Yücel, Denis Moschitto
Kinostart: 27.10.2022

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