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Reise nach Jerusalem (2018)

Kein-Geld-Haben im Februar in Berlin

Alice ist langzeitarbeitslos und das Jobcenter hat ihre Bezüge gekürzt. Aber vor Freunden und Familie verheimlicht sie, wie schlecht die Lage wirklich ist.

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Alice ist schon länger arbeitslos. Die Sachbearbeiterin wird langsam ungeduldig und empfiehlt, über einen Berufswechsel nachzudenken, in der Zwischenzeit verordnet sie erstmal ein Bewerbungstraining. Alice, die im Großen und Ganzen auf die Zumutungen des Verwaltetwerdens, der Absagen und Warteschleifen recht beherrscht reagiert, wagt es, Protest anzumelden: „Ich brauche kein Bewerbungstraining, ich brauche ein Bewerbungsgespräch!“. Das besiegelt die Sache. In der nächsten Szene beginnt der joviale Berliner Fortbilder - „Wat jehört allet inne Bewerbung?“ – mit dem Vorschlag, einen einheitlichen Schriftfont im Anschreiben zu verwenden. Alice hat als Texterin gearbeitet. Man muss sie nicht einmal sehen, um zu spüren, wie sie in ihrem Fortbildungsstuhl versinkt.
REISE NACH JERUSALEM erzählt mit großer Präzision von den Demütigungen und Unzumutbarkeiten des Arbeitslosseins und Kein-Geld-Habens. Vom Kleingeldzählen im Supermarkt, von der Horrorpost im Briefkasten, vom Ausgehen mit Freunden, die nicht wissen sollen, wie sehr man knapst. Davon, dass es einen Unterschied macht, ob man beim Billigfrisör selbst föhnt, weil man das mag, oder weil man es muss. Davon, dass nichts kaputt und nichts schief gehen darf und davon, dass es das natürlich tut. Dabei schrammt Lucia Ciarlas Film sehr gekonnt immer wieder an der Grenze zur Satire entlang und erinnert damit an die frühen Filme von Mike Leigh. Es ist alles so schrecklich, dass es schon wieder grotesk ist. Und es wird noch um einiges schlimmer, als Alice das Bewerbungstraining abbricht und ihre Bezüge gekürzt werden.
Unbedingt erwähnt werden muss noch, wie fantastisch Eva Löbau diese Alice spielt: Jede Nuance von Alltagsmisere, Verzweiflung, Aufbegehren, Genervtheit und Hoffnungsschimmer sitzt.

Toni Ohms

Details

Originaltitel: Reise nach Jerusalem
D 2018, 119 min
Sprache: Deutsch
Genre: Drama
Regie: Lucia Chiarla
Drehbuch: Lucia Chiarla
Verleih: FILMPERLEN
Darsteller: Eva Löbau, Beniamino Brogi, Veronika Nowag-Jones
FSK: 6
Kinostart: 15.11.2018

Website
IMDB

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Keine Programmdaten vorhanden.

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