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Quo vadis, Aida?

Dolmetscherin zwischen den Fronten

Im Juli 1995, als serbische Soldaten und Paramilitärs in das als Schutzzone deklarierte Srebrenica einmarschieren, arbeitet Aida als Übersetzerin im nahegelegenen UN-Stützpunkt Potočari.

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Jasmila Žbanić (ESMAS GEHEIMNIS) hat QUO VADIS, AIDA? wie einen Thriller inszeniert. Im Film sind so gut wie keine Kampfhandlungen oder Gewalt zu sehen, aber die Anspannung beginnt mit der ersten Sekunde und ist mit dem Abspann nicht vorüber. Im Juli 1995, als serbische Soldaten und Paramilitärs in das als Schutzzone deklarierte Srebrenica einmarschieren, arbeitet Aida als Übersetzerin im nahegelegenen UN-Stützpunkt Potočari. Sie ist dabei, als die bosnischen Repräsentanten die UN-Blauhelmtruppen anflehen, das angekündigte Ultimatum auch umzusetzen, und als der niederländische Kommandant Thom Karremans hilflos mit den Schultern zuckt und sagt „Ich bin nur der Pianist“. Mit ganz wenigen Ausnahmen bleibt die Kamera den ganzen Film über bei Aida und im Lager der Blauhelme. Auch dort spitzt sich die Lage immer mehr zu, als Flüchtlinge aus Srebrenica Schutz suchen. Mehrere Tausend haben im Lager Zuflucht gefunden, und an die 25.000 Menschen harren davor aus. Unter diesen entdeckt Aida ihren Mann und ihre zwei gerade so eben erwachsenen Söhne. Mit allen Mitteln versucht sie, ihre Familie ebenfalls ins Lager zu holen und vor den Truppen Ratko Mladićs zu retten, während sie gleichzeitig in ihrem Job als Dolmetscherin sehr genau mitbekommt, wie die Situation für die Blauhelme immer unbeherrschbarer wird - und mithilft diesen Stand der Dinge vor den Geflüchteten zu verbergen.

Jasna Ðuriči ist fantastisch als Aida: Sie agiert pragmatisch und souverän, während unter der beherrschten Oberfläche die Panik jederzeit zu spüren ist. Sie registriert alles und trifft schnelle, harte Entscheidungen, weil sie weiß, das für lange Überlegungen keine Zeit ist. Sie gönnt sich zwischendrin nur eine Zigarettenlänge Ruhe. Jasmila Žbanić hat ganz bewusst eine Frau und Zivilistin in das Zentrum ihres Kriegsfilms gestellt. QUO VADIS, AIDA? dreht damit das Geschlechterverhältnis von Rettern und Geretteten um, erzählt aber vor allem, dass die Rolle der Retterin oder des Retters eher situations- als geschlechtsabhängig ist. Hier ist es Aida, die aufgrund ihrer Position zu agieren versucht, und es ist die Aufgabe von Nihad (Izudin Bajrović), Hamidja (Boris Ler) und Ejo (Dino Bajrović), möglichst nicht im Weg zu sein oder durchzudrehen, während sie darauf hoffen, dass Aida sich durchsetzt.

Aida ist das nervöse Zentrum von QUO VADIS, aber die dichte, komplexe Inszenierung hat auch fast immer die anderen Personen im Raum und die Lage im Camp als Ganzes im Blick. Die alte Frau, die Aida vergeblich um Hilfe bittet: „Ich bin nur Dolmetscherin“. Die Flüchtlinge, die niemanden haben, der sich für sie bei den UN-Truppen einsetzen kann. Die sehr jungen Blauhelm-Soldat*innen in ihren kurzen Tarnhosen, die hilflos zusehen, wie eine serbische Einheit auf Anordnung des Kommandanten mit Waffen ins Lager gelassen wird. Die Aktionen der Befehlshaber des Stützpunkts ordnet Žbanić irgendwo zwischen Hilflosigkeit, Unfähigkeit und Verbrechen ein. Sie setzen den Schergen von Ratko Mladić so gut wie nichts entgegen, werden aber auch ihrerseits von höherer Ebene im Stich gelassen. Dass sie allerdings wussten oder zumindest ahnen konnten, dass sie durch das Zulassen der unkontrollierten „Evakuierungen“ durch die serbischen Militärs die Flüchtlinge einem ungewissen Schicksal ausliefern, daran lässt Žbanić keinen Zweifel.

Mehrmals im Film verharrt die Kamera länger auf einzelnen Gesichtern und stellt stumme Fragen. Wer bist du? Was hast du erlebt, geliebt und verloren? Aber auch: Wo warst du im Krieg und was hast du getan? Hast du zu den Opfern gehört oder zu den Tätern? Hast du die Nachbarin ermordet? QUO VADIS, AIDA? erzählt nicht nur vom Massaker in Srebrenica im Juli 1995 sondern fragt auch, ob und wie das Weiterleben danach möglich ist.

Hendrike Bake

Details

Originaltitel: Quo vadis Aida?
Bosnien-Herzogowina/ Österreich/ Rumänien/ Niederlande/ Deutschland/ Polen/ Frankreich/ Norwegen 2020, 101 min
Genre: Drama
Regie: Jasmila Žbanić
Drehbuch: Jasmila Žbanić
Kamera: Christine A. Maier
Schnitt: Jaroslaw Kaminski
Musik: Antoni Lazarkiewicz
Verleih: farbfilm Verleih
Darsteller: Jasna Đuričić, Izudin Bajrović, Boris Ler, Dino Bajrović, Raymond Thiry, Johan Heldenbergh
FSK: 12
Kinostart: 05.08.2021

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