Magazin für unabhängiges Kino
Filmwecker
Filmnotiz

Neue Notiz

Palmyra

Europäischer Mythos

Hans Putnies Essayfilm zeigt Bilder von Palmyra vor der Zerstörung der Tempel durch den IS, vor allem geht es dem Filmemacher um die Auslöschung der lebendigen Geschichte des Ortes Palmyra/Tadmor durch den europäischen Mythos der antiken Stadt.

Mehr

2008 verbrachte Hans Putnies, Professor für Mediendesign in Darmstadt, zwei Wochen in der noch unzerstörten Stadt Palmyra. Nun hat Putnies sein Filmmaterial über das mittlerweile vom IS weitgehend zerstörte Palmyra in einen Essayfilm eingebaut, dem es vor allem darum geht, die Produktion des europäischen Mythos vom antiken Palmyra aufzuzeigen, der zugleich die lebendige Gegenwart des arabischen Ortes Tadmor auslöschte. Putnies erläutert die Geschichte der Wahrnehmung von Palmyra in der Literatur, von der ersten Reiseerzählung eines Mönches von 1691, zu dem ein überwältigendes Panorama des Zeichners Gerard Hofstede van Essen nachgereicht wurde, das Cornelis de Bruijn kurz darauf in seinem einst populären und in zahlreiche Sprachen übersetzten Reisebericht von 1698 kopierte, obwohl er nie in Palmyra/Tadmor gewesen ist. Diese halb imaginären Bilder von Palmyra inspirierten 1751 den englischen Plantagen- und Sklavenbesitzer James Dawkins zu einer Expedition nach Palmyra, in Begleitung des Kunstschriftstellers Robert Wood und des Architekten Giovanni Borra. Borra zeichnete präzise Abbildungen der Ruinen in ihrem romantisch gestoppten Zerfall, lieferte aber auch genaue Studien von Details und Ornamenten als Designvorlagen: Palmyra wird zum ästhetischen Geschmacksverstärker des 19. Jahrhunderts, die Vorlagen werden zu Entwürfen für Herrenhäuser. Im 20. Jahrhundert haben wegen des Bündnisses mit dem osmanischen Reich zunächst deutsche Archäologen das Monopol auf Palmyra-Studien, nach dem zweiten Weltkrieg übernehmen Franzosen die Führungsposition. Sie lassen, um besser graben zu können, den realen Ort Tadmor räumen, und bauen den Bewohnern 1930 eine Reißbrett-Stadt einige Kilometer entfernt. Putnies Film schlägt einen ziemlich akademischen und gelegentlich prätentiösen Ton an, ist aber eine überzeugende Studie des ästhetischen, aufgeklärten europäischen Kolonialismus.

Hannes Stein

Details

Deutschland 2016, 90 min
Genre: Dokumentarfilm
Regie: Hans Puttnies
Drehbuch: Hans Puttnies
Verleih: Kairos Filmverleih
FSK: 16
Kinostart: 06.09.2018

Website
IMDB

Vorführungen

Filter
Multiplexe anzeigen

ALLE ANGABEN OHNE GEWÄHR.
Die Inhalte dieser Webseite dürfen nicht gehandelt oder weitergegeben werden. Jede Vervielfältigung, Veröffentlichung oder andere Nutzung dieser Inhalte ist verboten, soweit die INDIEKINO BERLIN UG (haftungsbeschränkt) nicht ausdrücklich schriftlich ihr Einverständnis erklärt hat.