Neue Notiz
One To One: John & Yoko
Porträt des Zeitgeistes
Der Film von Kevin McDonald (WHITNEY, THE LAST KING OF SCOTLAND) ist mindestens so sehr ein Porträt des Zeitgeistes von 1971 wie von seinen Protagonist*innen.
1971. Die Beatles sind aufgelöst, Richard Nixon ist Präsident und hat im letzten Sommer die Nationalgarde gegen Studierende an der Kent State University eingesetzt, vier Tote. Der Vietnamkrieg geht weiter. Bei Protesten im Gefängnis Ithaka werden 40 Menschen von Wachpersonal erschossen. Der rechtsextreme Präsidentschaftskandidat George McGovern wird angeschossen. John Lennon und Yoko Ono leben noch in einem kleinen Apartment in New York. „Die Flower-Power-Generation ist vorbei, aber wir können wieder anfangen, oder?“ sagt Yoko Ono in Interviews. Im Telefon knistert die Überwachungsapparatur der CIA. Aus einer geplanten Tour, die Kautionen für Gefangene aufbringen will, wird nichts, als die Regierung mit Abschiebungen von Lennon und Ono droht. John und Yoko organisieren stattdessen ein Benefiz-Konzert für geistig behinderte Kinder im Central Park: ONE TO ONE. Es wird das letzte vollständige Konzert, das John Lennon spielen wird.
Der Film von Kevin McDonald (WHITNEY, THE LAST KING OF SCOTLAND) ist mindestens so sehr ein Porträt des Zeitgeistes von 1971 wie von seinen Protagonist*innen. Cutter Sam Rice-Edwards schafft eine rasante Montage aus Nachrichtenschnipseln, Fernsehwerbung, Interviews und den Aufzeichnungen des Konzerts. Erstaunlich ist auch, dass der von dass Sean Ono Lennon mitproduzierte Filme die widersprüchlichen Charaktere seiner Eltern nicht glättet. Zwar fehlt in diesem Film die ganze Geschichte der Beatles-internen Konkurrenz. Erzählt wird lediglich, dass Lennon gern Bob Dylan für eine Gefangenen-Benefiz-Tour haben wollte. Weil einer der Tour-Organisatoren vor laufender Kamera Dylans Müll durchwühlt hatte, um zu zeigen, was für ein kommerzieller Lump Dylan geworden sei, weigerte sich Dylan allerdings, mit Lennon aufzutreten und spielte stattdessen bei George Harrisons „Concert for Bangladesh“, das lange als das am zweitbesten verkaufte Konzertalbum aller Zeiten nach „Woodstock“ galt ... Aber das politische Umfeld ist vielleicht auch interessanter.
Ebenfalls im Film: Telefongespräche zwischen Yoko Ono und ihren Assistent*innen, darunter auch May Pang, mit der Lennon später das jahrelange „Lost Weekend“ durchlebte. Die Nichtsnutze sollen 100 Fliegen für Onos Film FLY besorgen, aber dalli. Leider sterben Fliegen schnell. Wo bleiben die Fliegen? May Pang löst das Problem: Sie besorgt Fliegen und Larven, die erst noch schlüpfen, bevor sie Yoko Onos Körper erkunden müssen. Für Yoko Ono zu arbeiten, war nicht nur Liebe und Frieden, ihren Untergebenen gegenüber konnte sie erstaunlich autoritär auftreten. Beim Konzert allerdings wirken Yoko Onos Nummern interessanter als Lennons Post-Beatles-Songs, wenn man von den Hits wie „Instant Karma“, „Cold Turkey“ und dem unvermeidlichen „Imagine“ absieht. Onos Musik steht eher in einer Reihe mit den experimentellen Krautrock-Grooves von Can, Harmonia und Neu!, die eine Richtung für die kommende elektronische Musik vorgaben, während Lennon sich mit traditionellen Rock’n’Roll-Covern und sehr einfachen Protestsongs über Wasser hielt.
Großbritannien 2024, 100 min
Sprache: Englisch
Genre: Dokumentarfilm, Biografie
Regie: Kevin McDonald
Kamera: David Katznelson
Verleih: Piece Of Magic
Kinostart: 26.06.2025
Vorführungen
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