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Nocturnal Animals

Panoptikum amerikanischer (Selbst-)Imaginationen

Die erfolgreiche Galeriebesitzerin Susan lebt mit ihrem reichen Modellehemann Hutton in einem brutalistischen Designer-Traumhaus. Die Ehe ist am Ende. Susan hat gerade herausgefunden, dass Hutton auf seinen Geschäftsreisen eine Zweitbeziehung führt. Da erhält sie per Post ein Romanmanuskript ihres Ex-Ehemanns Tony. Der Roman „Nocturnal Animals" ist Susan gewidmet.

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Die ersten Bilder von Tom Fords Thriller-Melodrama-Satire NOCTURNAL ANIMALS zeigen nackte Frauen vor einem roten Glitzerhintergrund, die meisten jenseits der 60 und alle schwer übergewichtig, die voller Glückseligkeit Wunderkerzen und amerikanische Fahnen schwenken. Nach dem Vorspann zeigt sich, dass die Frauen Teil einer Kunstinstallation in der exklusiven Galerie der mega-slicken Susan (Amy Adams) sind. Der andere Teil der Installation besteht darin, dass die Frauen, während ihre überlebensgroßen Konterfeis an den Wänden feiern, auf Podesten im Raum liegen, ebenfalls nackt, und in Positionen, die es ungewiss lassen, ob sie schlafen oder tot sind. Ob diese Bilder eine Kritik oder Affirmation von herrschenden Körperrepräsentationen sind, sei erst einmal dahin gestellt. Tom Ford sagt, es sei ihm um das US-amerikanische Selbstbild gegangen. Man sieht sich als Farah Fawcett im roten Badeanzug (ein ikonisches Pin-Up der siebziger Jahre) in Wirklichkeit sei das Land aber übergewichtig. Klar ist nach diesen Bildern mindestens eins: In NOCTURNAL ANIMALS geht es um amerikanische (Selbst-)Imaginationen.

Die erfolgreiche Galeriebesitzerin Susan (Amy Adams) lebt mit ihrem Modellehemann Hutton - Körper wie aus einer Cola-Werbung hat, stinkreich, Maßanzug - in einem schicken brutalistischen Haus mit Panoramafenster, Designermöbeln und ebenso eleganter wie belangloser Kunst. Die Ehe ist am Ende. Susan hat gerade herausgefunden, dass Hutton auf seinen Geschäftsreisen eine Zweitbeziehung führt. Da erhält sie per Post ein Romanmanuskript ihres Ex-Ehemanns Tony (Jake Gyllenhaal). Der Roman „Nocturnal Animals" ist Susan gewidmet, und während sie zu lesen beginnt, erinnert sie sich an die Geschichte ihrer Begegnung, Ehe und Trennung. Ob Tonys Roman eine Drohung oder eine Verführung sein soll, oder etwas ganz anderes, bleibt dabei lange unsicher. Susan jedenfalls verfällt dem Buch, der romantischen Vorstellung, dass jemand sie genug geliebt hat, um diese Gefühle in eine fiktionale Form zu gießen.

Die Rahmenhandlung von NOCTURNAL ANIMALS ist eine ziemlich alltägliche Rache-Wunschfantasie eines verlassenen Mannes: Eines Tages wirst du vielleicht reich und erfolgreich sein, aber dein Leben wird sich leer und sinnlos anfühlen, weil du mich verlassen hast, und du wirst meine tiefe, tiefe Leidenschaft vermissen. Ford inszeniert das als ein ironisches, eiskaltes Melodrama, in dem eine Frau, die vollkommen in einer Welt der Oberflächen zuhause ist, erkennt, dass sie „ihrem Herzen“ hätte folgen sollen.
Der zweite Strang des Films ist Tonys Roman, bzw. die Vision des Romans, die Susan bei der Lektüre hat. Tonys „Nocturnal Animals“ ist kein literarisches Meisterwerk, sondern eine krude, brutale Pulp-Geschichte. Eine Mittelschichtsfamilie, die Eltern gespielt von Jake Gyllenhaal und Isla Fisher, die Amy Adams allerdings verwirrend ähnlich sieht, gerät während einer langen Autofahrt in eine Konfrontation mit vier Männern, die deutlich als Unterschichtsangehörige markiert sind, als „male white trash“. Der sensible Vater Edward kann sich weder gegen die Provokationen der Männer wehren, noch verhindern, dass sie seine Frau und Tochter kidnappen, vergewaltigen und töten. Was folgt ist eine oldschool Rape-Revenge-Geschichte, die an DEATH WISH (EIN MANN SIEHT ROT) und ähnliche Rache-Filme erinnert, in denen Männer die patriarchale Ordnung wieder herstellen müssen, indem sie „ihre“ Frauen rächen und ihre Männlichkeit retten.

Nicht ganz ohne Grund beschreibt Guy Lodge in der britischen Tageszeitung „The Guardian“ Tom Fords Film als das Symptom einer „toxischen Männlichkeit, die gerade in dem Moment wieder das Kino erreicht, in dem Trump die US-Präsidentschaftswahl gewonnen hat“. Man kann Susan, eine immer schon reiche Upper-Class-Galeristin, die noch mehr Geld heiratet, permanent alterslos und perfekt aussieht und in einer durchgestylten Betonvilla in Selbstmitleid versinkt, als eine misogyne Männerfantasie über die Art von „upper class bitches“ sehen, als die Hillary Clinton von Trumps Kampagnenmaschine dargestellt wurde.
Tony ist allerdings ein Protagonist, mit dem sich „toxische Männlichkeit“ sicher nur ungern identifizieren wird: ein netter, verträumter Mittelschichts-Typ, der in der Rahmenhandlung nicht in der Lage ist, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen und im Roman seine Familie nicht schützen kann. Am ehesten repräsentiert er den liberalen intellektuellen Waffengegner, der heimlich von Gewalt träumt, aber in der Konfrontation mit der realen Welt, der Unterschicht, scheitert – ein typisches Feindbild nicht nur der amerikanischen Rechten. Man kann auch die Darstellung der Unterschicht für infam halten: weiße, ungewaschene Hinterwäldler, Vergewaltiger und Mörder, ein Zerrbild der „deplorables“ („Kläglichen, Verachtenswerten“), die Clinton zufolge einen Großteil der Trump-Anhänger ausmachen, das „Pack“. Aber ganz so einfach ist es nicht, und Tom Fords Film ist viel zu ironisch, um dessen Figuren für eine schlichte Repräsentation der amerikanischen Gesellschaft zu halten.

NOCTURNAL ANIMALS benutzt Genre-Schablonen und Klischees, um mit großem Vergnügen damit zu spielen, sie zu hinreißend komisch zu übertreiben und in ein schwer auflösbares Geflecht von Projektionen zu verweben. Der größte Teil des Films, sowohl Susans Erinnerungen an ihre Beziehung zu Tony, als auch ihre Vision des Romans sind ganz offensichtlich Susan Perspektive. Aber die Rahmengeschichte über die depressive Eiskönigin Susan, mit vielen Seitenhieben auf den Kunstbetrieb, ist nicht weniger eine Imagination. Tom Ford ist sich bewusst, dass er mit Trivial-Pop-Klischees spielt, und er verschiebt diese gegeneinander, bis sie ihre Absurdität enthüllen. Am deutlichsten wird das an der Figur des Sheriffs, den Michael Shannon mit unglaublicher Verve als einen kanonenschwingenden Totgeweihten mit Eisenfresserkinn und irrem Blick spielt: eine völlig durchgeknallte Variante des law & order Typs. Fords Film enthält natürlich auch misogyne Klischees, weil sie zu seinem Panorama eines irren Panoptikums von Nachtgestalten gehören, die der Imagination der amerikanischen Gesellschaft insgesamt entspringen. Besser bin ich in diesem Monat nicht unterhalten worden.

Tom Dorow

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