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mul-an-e-seo – in water

„Ich sehe selbst nicht mehr so gut, mich nervt es, dass alles fokussiert sein muss.“

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Festivalkritik: Vor dem Screening sagt Hong Sang-soo freundlich „Ich möchte wenig sagen und hoffe einfach, es gefällt Ihnen.“ Auch im Gespräch nach dem Screening versucht er, auf eine möglichst freundliche Art, möglichst wenig zu erklären. Das Unbestimmte, Unsagbare hat er in das Filmmaterial eingeschrieben: Der Film ist unscharf. Manchmal ist es eine feine, kaum merkliche Unschärfe, wie am Anfang, als die drei Protagonist*innen – der junge Filmemacher Seung-mo und seine beiden Freunde Sang-guk und Nam-hee – in ihrer Pension auf der Insel Jeju sitzen und Pizza essen, manchmal ist die Unschärfe so prononciert, dass die Bilder zu Farbflächen werden und die Menschen und Objekte anfangen, an den Hintergrund zu verloren zu gehen. Seung-mo möchte einen Kurzfilm drehen, Nam-hee soll schauspielen und Sang-guk macht die Kamera. Die ersten Tage wandert Seung-mo über die Insel und überlegt sich Einstellungen, während Nam-hee und Sang-Guk im Wind stehen und versuchen, die Zeit zu überbrücken. Sie erzählt, dass sie mal Taekwondo gemacht hat. Er beschwert sich, dass er nach dem ganzen Brot Reis vermisst. Dann wieder geht sie mehrfach an einer der schwarzen Steinmauern entlang, die für die Insel wohl typisch sind, während Seung-mo überlegt „ob sie zur Mauer passt“ So ähnlich stelle ich mir auch die Arbeit mit Hong Sang-soo vor. Der Film im Film handelt von einer Müllsammlerin und einem jungen Mann, der ihr folgt. Im Gespräch sagt Hong Sang-soo dazu „Er ist ein junger Mensch, der sich an Symbolen festhält.“ Er selbst dagegen arbeitet daran, sich immer weiter von Bedeutungen wegzubewegen hin zu Kompositionen, Farben, Formen, Schwingungen zwischen Personen. „Ich sehe selbst nicht mehr so gut, mich nervt es, dass alles fokussiert sein muss.“ Die Unschärfe ist ein radikaler Schritt dahin, ebenso das Bemühen, möglichst wenig in der Postproduktion zu machen - so wird die Musik „live“ zugeschaltet, es klingt, als ob ein Kassettenrekorder am Set an- und abgeschaltet würde –, und der Intuition vor Ort zu vertrauen. Die Idee, einen unscharfen Film zu drehen, sei ihm kurz vor den Dreharbeiten gekommen und er hätte sie für verrückt gehalten, die Entscheidung sei erst bei der ersten Einstellung gefallen. Scharfstellen oder nicht? Er hat nicht scharf gestellt, eine irreversible, wahnsinnige Entscheidung, eine der wenigen, die sich auch digital nicht korrigieren lassen. Das Ergebnis ist ein Film, der von den Zuschauer*innen verlangt/ihnen die Möglichkeit bietet, sich einzufühlen, -zuhören, -zusehen, anstatt den Film zu verstehen. Der Effekt wird in der untertiteln Fassung allerdings etwas durch die Untertitel zunichte gemacht, die gerade jene Übersetzungsleistung fordern, der Hong sich verweigert.

Hendrike Bake

Details

Originaltitel: mul-an-e-seo
ROK 2023, 61 min
Regie: Hong Sangsoo
Darsteller: Shin Seokho, Ha Seongguk, Kim Seungyun

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