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Marvin

Identitätsfindung

Marvin Bijoux wächst in einer Arbeiterfamilie in der Kleinstadt auf und wird von seinen Mitschülern als „pédé“ (Schwuchtel) gemobbt, bevor er in der Großstadt seinen Namen ändert und sein Coming-Out in einem Tanzstück verarbeitet.

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Der Unterdücker gibt dem Unterdrückten seine Identität, heißt es einmal in MARVIN, dem neuen Film der französischen Regisseurin Anne Fontaine (COCO CHANEL). Was das konkret für die schwule Hauptfigur Marvin Bijoux bedeutet, erfahren wir in Rückblenden. Das Wort „pédé“ (Schwuchtel) liest Marvin als Kind in einer Kleinstadt an der Bushaltestelle. In der Schule wird er bedrängt, beleidigt und sexuell angegriffen, was der Junge erst noch als erotische Fantasie umdeutet, bevor er als Erwachsener später in Paris selbst über Schwule schimpft. Unterdrücker sind nicht nur Mitschüler, sondern auch die Familie: Arbeiter aus dem Klischeehandbuch, bei denen das Bier fließt und Fritteuse und Fernseher nie stillstehen. Marvin legt später in der Großstadt mit seiner Herkunft seinen Namen ab und verarbeitet sein Coming Out als Tanzstück. Dachterrassenparties, Austern und die Schauspielerin Isabelle Huppert (gespielt von Isabelle Huppert) bilden Eckpfeiler seines neuen Lebens. Sein schwuler Lehrer Abel wird Marvins Vertrauter.

Fast könnte man denken, Anne Fontaine hätte Didier Eribons RÜCKKEHR NACH REIMS verfilmt, nur geht hier es weniger um eine Klassenanalyse und mehr um die Wandlung einer Figur, die sich später Martin Clement nennen wird. Kameramann Yves Angelo fängt den jungen Marvin oft beim Schauen ins Ungewisse ein. Jules Poriers subtiles Spiel eines Kindes, das die Welt noch so wenig versteht wie sein eigenes Begehren oder den Hass der anderen ist phänomenal. Ungekünstelt und berührend trägt er die Rückblenden eines Films, der eine klare Geschichte, einige starke Frauenfiguren, aber auch einige Holzschnitte in puncto Milieus zu bieten hat. Auch wenn es, vor allem in der Jetzt-Erzählung, öfter mal im dramaturgischen Getriebe knarrt, ist MARVIN doch ein spannender Film geworden über Identitätsfindung fernab aller Unterdrücker.

Toby Ashraf

Details

Originaltitel: Marvin ou la belle education
Frankreich 2017, 115 min
Genre: Drama
Regie: Anne Fontaine
Drehbuch: Anne Fontaine, Pierre Trividic
Kamera: Yves Angelo
Schnitt: Annette Dutertre
Verleih: Edition Salzgeber
Darsteller: Finnegan Oldfield, Catherine Mouchet, Grégory Gadebois, Catherine Salée
FSK: 12
Kinostart: 05.07.2018

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