Neue Notiz
Kulissen der Macht
Humanitäre Kriegseinsätze?
Kriegseinsätze aus humanitären Gründen?
Eine Warnung vorweg: KULISSEN DER MACHT handelt nicht nur von humanitären Katastrophen, der Film zeigt sie auch. Zwischen Interviews und politische Statements sind immer wieder grauenvolle Bilder von Opfern von Kriegsverbrechen und Massakern geschnitten. Die Bilder dienen als Belege und Rechtfertigungen für militärische Maßnahmen.
Samantha Power, geb. 1970, ist aktuell Chefin von USAID (United States Agency for International Development) und hat sich in dieser Rolle zuletzt Mitte April öffentlich geäußert. Als erste offizielle Vertreterin einer US-Behörde erklärte sie, dass im Gaza-Streifen eine Hungersnot nicht nur bevorsteht, sondern bereits im Gange ist. Samantha Power ist auch die Protagonistin des Dokumentarfilms KULISSEN DER MACHT des israelischen Regisseurs Dror Moreh, international bekannt durch seinen oscarnominierten Film GATEKEEPERS über die Aktivitäten des israelischen Geheimdienstes. 2002 hat Power das Buch „A Problem from Hell: America and the Age of Genocide“ geschrieben. Die linksliberale Power, die später Beraterin von US-Präsident Obama und US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen war, ist eine vehemente Verfechterin von militärischen Interventionen aus humanitären Gründen.
Der Film verhandelt die US-Außenpolitik von der NATO-Intervention in Bosnien-Herzegowina von 1995 bis zur Intervention in Libyen und der zurückhaltenderen Haltung der Obama-Administration gegenüber den Massakern des Assad-Regimes in Syrien. Hier spricht das Imperium selbst. Zu Wort kommen neben Power zahlreiche hohe Funktionäre der US-Regierung, Ex-Außenminister*innen, Außenpolitik-, Sicherheits- und Militärberater. Ob die Talking Heads im Film die „Kulissen der Macht“ aufbauen, oder ob hier wirklich hinter die PR-Fassaden geblickt werden kann, bleibt der Interpretation überlassen.
Regisseur Moreh enthält sich des Kommentars, inszeniert aber Samantha Power als Sprachrohr der Vernunft. Ihre Prämisse einer weltpolitischen Verantwortung, Völkermorde und Kriegsverbrechen zu verhindern, übernimmt der Film mit dem Verweis auf das Versäumnis der Alliierten, den Holocaust im Zweiten Weltkrieg durch Bombardierungen von Bahnlinien oder Gaskammern wenigstens zu verlangsamen. Power gesteht zu, dass angebliche humanitäre Gründe auch als vorgeschobene Propaganda funktionieren, wenn in Wirklichkeit strategische geopolitische Interessen die wesentliche Rolle bei der Entscheidung für Militäroperationen gespielt haben. So etwa beim zweiten Golfkrieg (1990-91), bei dem die 15-jährige Nariyah, in Wirklichkeit Tochter eines kuwaitischen Diplomaten, als Krankenschwester auftrat, die gesehen haben wollte, dass irakische Soldaten Babys aus Brutkästen rissen, oder bei den erfundenen Beweisen für mobile Giftgas-Anlagen Saddam Husseins im dritten Golfkrieg.
Humanitäre Notlagen, ohne dass die Supermacht USA eingriff, gab es zahlreiche, von den Massakern in Bosnien und Ruanda, bis zum tatsächlichen Einsatz von Giftgas durch Saddam Hussein im ersten Irakkrieg zwischen Iran und Irak. „Unsere nationalen Interessen verlaufen parallel zu denen des Irak“, erklärte US-Außenminister George Shultz.
Die Frage, ob Kriegseinsätze aus humanitären Gründen grundsätzlich sinnvoll sind, oder ob nicht doch die Grundlagen des westfälischen Friedens zu weniger Verwüstungen und humanitären Katastrophen führen, stellt der Film nicht. Wenn die vermeintlichen Friedensmissionen zu anhaltenden bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen führen, wie in Libyen, sind Fehler gemacht worden, oder die alliierten Europäer waren schuld. 2023 gewann KULISSEN DER MACHT den „Cinema for Peace“-Award als bester politischer Film. Wer wissen will, warum es keine Friedensmission der Vereinten Nationen in Gaza gibt, findet hier mindestens einen Teil der plausiblen Antworten.
Originaltitel: The Corridors of Power
Frankreich/Israel/Deutschland 2022, 135 min
Sprache: Englisch
Genre: Dokumentarfilm
Regie: Dror Moreh
Kamera: Kobi Zaig
Schnitt: Oron Adar, Stephan Krumbiegel
Musik: Freya Arde
Verleih: Luftkind Filmverleih
FSK: 16
Kinostart: 30.05.2024
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