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Jeanne Du Barry

Alte Avantgarde

Der unehelich geborenen Jeanne (Maïwenn) steht ein Leben in Armut bevor, doch unerschrocken und unkonventionell arbeitet sie sich als Kurtisane nach oben, bis sie zur Geliebten Heinrich des !V (Johnny Depp) wird – sehr zum Missfallen seiner Töchter, die sie nur „der Skandal“ nennen.

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Als Eröffnungsfilm der Filmfestspiele von Cannes war Maïwenns neuer Film JEANNE DU BARRY umstritten, nicht nur wegen der Besetzung des nach den juristischen Auseinandersetzungen mit Amber Heard diskreditierten Johnny Depp als König Louis XV., sondern auch wegen Maïwenn selbst. Im Februar hatte die Regisseurin einen Journalisten in einem Restaurant tätlich angegriffen, da er sich ihrer Meinung nach indiskret verhalten hatte, als er – Jahre zuvor - private Aussagen in einem Bericht über die Vergewaltigungsklage gegen ihren Ex-Ehemann Luc Besson verwandte.

Maïwenns Historien- und Kostümdrama wirkt vor diesem Hintergrund wie ein Film mit einer persönlichen Agenda. Sie selbst spielt Jeanne Du Barry als ein alter ego: Eine originelle Frau mit einer ganz eigenen Perspektive und einer Verachtung für Konventionen, die in Konflikt mit der höfischen Gesellschaft gerät, aber auch die Mode und Moralvorstellungen neu prägt. Für Maïwenn gibt es einerseits die individualistische Frau - mit einzelnen, liebenswerten und schönen Verbündeten -, andererseits gibt es die Büttel, Speichellecker und Hofschranzen, hässliche und dumme Personen. „Die Antipoden der Verführung“ nennt Jeanne Du Barry die Töchter des Königs, aber auch alle anderen Frauen – außer einer alten Bekannten und einer namenlos bleibenden Hofdame, die wie Jeanne beginnt, die Haare offen zu tragen – sind hässlich und bösartig. Es unschwer zu erkennen, wer gemeint ist: die aktuelle feministische Bewegung einerseits, die Presse und andere Medien andererseits. Gegen die ganze Bagage muss sich die genialische Künstlerin durchsetzen, wie die Mätresse am Hof wird sie verehrt und verachtet.

Maïwenn führt die Schlacht der älteren Generation von Künstlern und Künstlerinnen, die ihren ersten Karrierehöhepunkt in den hedonistischen neunziger Jahren hatte, gegen den aktuellen Zeitgeist, der ihre Ehe mit Besson, die beide schlossen, als Maïwenn fünfzehn war und Besson 31, als „pädophil“ verdammt. Ihre Jeanne begeht kleine Übertretungen: Sie blickt dem König in die Augen, trägt die Haare offen, schminkt sich nicht, reitet in Hosen und im „Herrensitz“ und lässt sich Kleider aus gestreiftem Stoff schneidern. Das wirkt eher harmlos, aber Jeannes „unkonventionelles“ Verhalten steht für den transgressivem Geist der Avantgarde von den sechziger bis in die neunziger Jahre, als Maïwenn in Filmen wie DAS FÜNFTE ELEMENT (1997) oder HAUTE TENSION (2003) zum Star wurde. Kurz darauf wurde die Avantgarde auch in der Populärkultur von Genderplay, Dekonstruktion und intersektionalem Feminismus abgelöst. Die Idee, dass es eine Verbindung oder Versöhnung der beiden Tendenzen geben könnte, existiert für Maïwenn offenbar nicht.


JEANNE DU BARRY sehr üppig ausgestattet, hübsch inszeniert und unterhaltsam. Von den Darstellern bleibt vor allem Benjamin Lavernhe als sensibler Höfling und Vertrauter Jeannes in Erinnerung. Schade, dass er sein fein geschnittenes Gesicht sonst oft hinter einem Backenbart versteckt.

Tom Dorow

Details

Originaltitel: Jeanne du Barry (La Favorite)
Frankreich 2023, 116 min
Genre: Drama, Historienfilm, Biografie
Regie: Maïwenn
Drehbuch: Teddy Lussi-Modeste, Maïwenn
Kamera: Laurent Dailland
Schnitt: Laure Gardette
Musik: Stephen Warbeck
Verleih: Wild Bunch
Darsteller: Maïwenn, Johnny Depp, Melvil Poupaud, Pierre Richard, Pascal Greggory, Noémie Lvovsky
FSK: 12
Kinostart: 24.08.2023

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