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Jazz an einem Sommerabend

Schön und hip vor 63 Jahren

1958 filmten der Modefotograf Bert Stern und sein Co-Regisseur Aram Avakian das Newport Folk Festival. Sie fingen ein hippes Sommerpublikum ein, das an einem strahlenden Sommertag einem musikalischen Umbruch beiwohnte.

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Im Mai 2018, sechzig Jahre nach dem Newport Folk Festival, das der wundervoll restaurierte Film JAZZ ON A SUMMER’S DAY dokumentiert, spielte Kamasi Washington sein erstes Konzert in Berlin, im ausverkauften Astra-Kulturhaus. Das Durchschnittsalter des Publikums lag deutlich unter Vierzig, der Saal tanzte und tobte fast drei Stunden lang zu einer Musik, die vom Bebop, Swing und Cool Jazz der 50er und 60er Jahre inspiriert war. Als ich in den frühen 80er Jahren nach Berlin kam, interessierten sich dagegen vielleicht hundert Leute für einen Auftritt von Elvin Jones, den Schlagzeuger des John Coltrane Quartetts im Quasimodo. Es hat fast zwei Generationen gedauert, aber der Jazz ist wieder da.

1958 war für das Newport Folk Festival eine Zeit des Umbruchs. Es war das Jahr, in dem der Jazz sich vom Pop-Olymp verabschiedete und der Rock’n’Roll der populärste Pop-Musikstil wurde. Einer der Schlüsselmomente war der Auftritt von Chuck Berry in Newport, der bedeutete, dass der von etablierten Jazzkritikern belächelte Musikstil in der Feuilleton-Kultur angekommen war. Berrys Auftritt selbst war eher bizarr. Er spielte mit der Hausband des Festivals zusammen (oder gegen sie an), und da ging wenig zusammen. Vor allem Schlagzeuger Jo Jones – der sonst in Count Basies Band spielte – wirkt während Berrys Song „Sweet Little Sixteen“, als wolle er den Rhythmus sabotieren oder als amüsiere er sich köstlich, auf Kosten des Songs.

Zugleich traten in Newport einige Protagonisten des neuesten Jazz auf, wenn auch nicht als Headliner - das waren ältere Stars wie Louis Armstrong und Mahalia Jackson. Die stärksten Momente des Festivals aus heutiger Sicht sind die Auftritte des Thelonius Monk Trios, des Gerry Mulligan Quartetts mit Art Farmer und des Chico Hamilton Quintetts mit dem genialen Eric Dolphy an der Querflöte. Allein schon diese Auftritte machen JAZZ ON A SUMMER’S DAY sehenswert, aber der Film des Modefotografen Bert Stern und seines Co-Regisseurs Aram Avakian ist vor allem rasend schön.

Gleichzeitig mit dem Festival fand in Newport der America’s Cup statt, die berühmteste Segelregatta der Welt, die damals noch mit klassischen Yachten ausgetragen wurde. Die eleganten Boote komplimentieren das schöne Publikum, dass sich zum Festival in die besten und hipsten Outfits geworfen hat. Das Publikum ist überwiegend, aber nicht ausschließlich Weiß. Die Kamera fängt immer wieder Reaktionen ein, die vor allem bei Chuck Berrys Auftritt kaum geteilter sein könnten. Ein Weißer Hipster schüttelt den Kopf, während seine Freundin offenbar Spaß hat und die etwas jüngeren Frauen ausgelassen tanzen. Das Schwarze Publikum groovt, die Weißen Hipster versuchen so cool wie möglich zu schnipsen oder jeden Anschein einer Bewegtheit durch den Rhythmus zu vermeiden. JAZZ AN EINEM SOMMERABEND weckt nostalgische Gefühle: So hübsch und gut gekleidet war zu meinen Lebzeiten kein Festival. So strahlend schön und perfekt fotografiert sind aber auch nur wenige Musikfilme.

Tom Dorow

Details

Originaltitel: Jazz On A Summer's Day
USA 1959, 85 min
Sprache: Englisch
Genre: Dokumentarfilm, Konzertfilm, Musikfilm
Regie: Bert Stern
Drehbuch: Arnold Pearl, Albert D'Anniable
Kamera: Courtney Hafela, Raymond Phelan, Bert Stern
Verleih: rapid eye movies
Darsteller: Louis Armstrong, Aram Avakian, Mahalia Jackson
FSK: 12
Kinostart: 05.08.2021

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