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Infinity Pool

Touristischer Doppelgänger

Brandon Cronenberg zeigt sich in seinem Tourismus-Horrorfilm INFINITY POOL entspannter und souveräner als in seinen ersten Filmen, was nicht heißt, dass es an exzessiver Gewalt und explizitem Sex mangeln würde.

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Brandon Cronenberg dreht – wie sein Vater David – klugen, radikalen und blutigen Horror im Themenfeld von Körperidentitäten, Medien und Klassenverhältnissen. In ANTIVIRAL ging es um Fankulturen, die sich die Seuchen ihrer Lieblingsstars injizieren lassen, in POSSESSOR um biologisch-digitalen Identitätsdiebstahl. Brandon Cronenbergs neuer Film INFINITY POOL ist zunächst eine Satire über den Tourismus in Luxusressorts, der von den realen Gesellschaftsverhältnissen der Länder, die bereist werden, völlig abgekoppelt sind. „Es ist, als ob man eigentlich nicht das Land besucht. Man besucht eine andere Dimension,“ sagt Cronenberg beim Sundance Festival. Er spricht von einer “tourist nation across the world”, was „ein touristisches Land am anderen Ende der Welt“ bedeuten kann, aber auch „eine weltweite Nation des Tourismus“.
In einem dieser Ressorts, in einem Land, das aussieht wie Kroatien, aber eine seltsame Schrift und noch seltsamere Sitten hat, machen der Schriftsteller James (Alexander Skarsgård) und seine Frau Em (Cleopatra Coleman) Urlaub. Er erhofft sich Inspiration, sie hat Geld. Ein anderes Paar, Gabi (Mia Goth) und Alban (Jalil Lespert) lädt sie zu einem Strandausflug in die Umgebung ein. Auf der Rückfahrt sitzt James am Steuer des gemieteten Straßenkreuzers. Er überfährt einen Mann, und Gabi überredet ihn zur Fahrerflucht. James wird verhaftet, und ein Polizist erklärt ihm das Gesetz: Die Blutrache muss eingehalten werden, einer der Söhne des Mannes wird ihn töten, aber es gibt im Rahmen des Tourismus-Programms die Möglichkeit, für sehr viel Geld ein körperlich und geistig identisches Double herzustellen, das an seiner Stelle getötet wird. Aber stirbt wirklich das Double, oder ist der überlebende James sein eigener Doppelgänger?
Das ist erst der Auftakt zu einem wilden, brutalen und immer wieder sehr komischen Ritt durch Exzess-Orgien, in denen Mia Goths Figur Gabi zur dämonischen Sex-and-Fun-Anführerin einer touristischen Transgressions-Sekte wird. Tourismus ist in INFINITY POOL auch ein vollständiger Verlust der Identität. James wird, wie alle Touristen, zur Funktion einer alles auffressenden Mords-Spaßmaschine. Gabis Sekte fühlt sich selbst sehr anti-bürgerlich, während sie und ihre Anhänger*innen durch Geld und Privilegien geschützt sind. Von James bleibt einerseits nicht viel übrig, andererseits wesentlich zu viel. Adepten von Georges Batailles Trangressionstheorie, in der der französische Philosoph die Überschreitung und den Exzess in Sex- und Quasi-Todeserfahrungen als eine Art existentielle Erfahrung des realen Seins versteht, werden diese Ideen hier zwar wiederfinden, aber sie sind auf den Kopf gestellt. Der scheinbar risikolose Tabubruch ist, wie im Übrigen auch der Kinobesuch, keine existentielle Erfahrung, sondern „nur ein bisschen Spaß im Urlaub“, wie Gabi im Film sagt.
Cronenberg inszeniert entspannter und souveräner als in seinen ersten Filmen, was nicht heißt, dass es an exzessiver Gewalt und explizitem Sex mangeln würde. Aber die radikalen Szenen haben hier mehr als nur „shock value“, wie John Waters es nannte. INFINITY POOL hat vielleicht nicht die komplexeste Botschaft, aber Cronenberg bringt sie eindringlich und präzise inszeniert herüber.

Tom Dorow

Details

Kanada/Frankreich/Ungarn 2023, 117 min
Sprache: Englisch
Genre: Horror, Fantasy, Science Fiction, Mystery
Regie: Brandon Cronenberg
Drehbuch: Brandon Cronenberg
Kamera: Karim Hussain
Schnitt: James Vandewater
Musik: Tim Hecker
Verleih: Universal Pictures
Darsteller: Alexander Skarsgård, Mia Goth, Thomas Kretschmann, Cleopatra Coleman, Amanda Brugel
FSK: 18
Kinostart: 20.04.2023

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