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Ich tanz, aber mein Herz weint

Verschollen geglaubte Musik

Der Dokumentarfilm folgt den Spuren der jüdischen Plattenlabels Semer und Lukraphon, die nach der Machtergreifung der Nazis gegründet worden waren.

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Beinahe sei es den Nazis gelungen, die Welt vergessen zu lassen, dass es einmal jüdisches kulturelles Leben in Europa gegeben habe, sagt der Politikwissenschaftler und Jazz-Historiker Rainer Lotz zu Beginn von ICH TANZ, ABER MEIN HERZ WEINT. Der Konzertfilm stellt ein musikalisches Projekt vor, das versucht, dem jüdischen Alltagsleben im Deutschland der 20er und 30er Jahre eine Bühne zu geben: Das Semer Ensemble um den jüdisch-amerikanischen Musiker Alan Bern spielt jüdische Unterhaltungsmusik, die über 70 Jahre lang verloren geglaubt wurde.

Wiedergefunden haben diese vergessenen Schätze Plattensammler Lotz und sein israelischer Kollege Ejal Jakob Eißler. Sie forschen auf den Spuren der jüdischen Plattenlabels Semer und Lukraphon, die nach der Machtergreifung der Nazis gegründet worden waren – als Resultat der Ghettoisierung der jüdischen Kultur, die eigentlich mit der deutschen untrennbar verwoben war. Die Aufnahmen, die die Künstler*innen verschiedenster Musikstile und Hintergründe bei den Labels machten, waren oft selbst Akte des Widerstands. In der Pogromnacht überfielen Nazis die Labels und vernichteten nahezu alle Schallplatten – der Rest verteilte sich mit den Flüchtenden in der ganzen Welt.

Regisseur Christoph Wienert zeigt die Live-Performance des Semer Ensembles, lässt die Musiker die Werke erläutern und die Archivforscher von ihren Entdeckungen berichten. Von Zeichnungen untermalt erzählt der Film die Lebensgeschichten der Labelgründer Moritz und Hirsch Levin, der Sängerin Dora Gerson oder des Geigenvirtuosen Andreas Weissmann. Den Forschenden und Musizierenden ist es dabei ein besonderes Anliegen, das Leben der Künstler*innen nicht vom Ende her zu betrachten – eine Perspektive, die sich aus heutiger Sicht nur schwer einnehmen lässt und der sich auch der Film höchstens annähern kann.

Das scheinbar „staubtrockene“ Archiv und die lebendige Performance auf der Bühne sind zwei Facetten einer faszinierenden Recherche – elegant zollt Wienert diesen verschiedenen Aspekten in seinem Film Tribut. ICH TANZ, ABER MEIN HERZ WEINT ist zugleich Dokumentation, aber auch Teil des Projekts: Der Film macht die Ergebnisse dieser Forschung einem deutlich größeren Publikum zugänglich und leistet somit selbst ein wichtiges Stück Erinnerungsarbeit.

Eva Szulkowski

Details

Originaltitel: I Dance but my Heart is Crying
Deutschland 2024, 90 min
Genre: Dokumentarfilm, Musikfilm
Regie: Christoph Weinert
Kamera: Boris Heiland, Michael Weihrauch, Hans Oliver Wolf
Verleih: farbfilm verleih
Kinostart: 07.11.2024

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