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Gelobt sei Gott

Worte als Befreiung

Francois Ozons Film über den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche interessiert sich mehr für die Opfer als für die Täter. Vom Banker Alexandre über den Programmierer Pierre und den Tagelöhner Emmanuel zeigt der Film den unterschiedlichen Umgang mit dem Trauma.

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François Ozons GELOBT SEI GOTT (GRÂCE À DIEU) erzählt von der Recherche, die den Prozessen gegen den Priester Bernard Preynat, der in den achtziger Jahren mehr als 70 Kinder sexuell missbrauchte, und gegen die katholische Kirche wegen der Vertuschung des jahrzehntelangen Missbrauchs vorausging. Der Prozess gegen den Kardinal Barbarin, der dafür verantwortlich war, dass Preynat noch bis 2016 mit Kindern arbeiten durfte, endete im März, Barbarin wurde zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Barbarins Rücktrittsgesuch lehnte Papst Franziskus allerdings ab, Barbarin lässt sein Kardinalsamt seitdem ruhen. Preynat wurde im Juli von einem Kirchengericht die Priesterwürde entzogen. Der Prozess vor einem weltlichen Gericht steht noch aus.

Wesentlich aktueller kann Kino also kaum sein – und nach der deutschen Rechtsprechung wäre Ozons Film hier auch mindestens problematisch, da die Prozesse zum Zeitpunkt der Produktion noch liefen. In Frankreich gab es – vergebliche – Bestrebungen des Klerus, den Film zu verhindern. Aber Ozon hält sich an die bekannten Fakten des Skandals, der Frankreich schon seit mehreren Jahren erschüttert. GRÂCE À DIEU (Gott sei Dank) nimmt seinen Titel von einem Zitat des Kardinals bei einer Pressekonferenz: Gott sei Dank seien die meisten Anschuldigungen gegen den Pêre Preynat verjährt. Da hat sich der Kardinal verplaudert. Mehr als für die Verbrechen und die Doppelmoral der Kirchenfürsten interessiert sich Ozon aber für die Opfer. Sein Film wechselt mehrmals den Protagonisten: vom strenggläubigen großbürgerlichen Banker Alexandre zum atheistischen Mittelschichtsmann Pierre und schließlich zum Tagelöhner-Bohemien Emmanuel.

Ozon gelingt es meisterhaft, zu zeigen, wie der Missbrauch Welten zum Einsturz bringt. In der ersten Stunde des Films beschwört er den mystischen Zauber und die Autorität der Kirche für die jungen Pfadfinder und Messdiener. Die Fenster der Kathedrale von Lyon, die prächtige Kleidung der Priester, der ganze feierliche Zinnober, die Rituale und Magie der Kirche schaffen erst das Vertrauen in die Heiligkeit des Täters, wenn er die Jungen zu sich holt: Komm beten! Alexandre glaubt zu Beginn des Films noch, die Kirche durch ein Gespräch mit dem Kardinal vor den Tätern schützen zu können. Erst sein Zorn darüber, dass Preynat nicht des Amtes enthoben wird, bringt ihn dazu, Anzeige zu erstatten. Die Ermittler sprechen auch Pierre an, der zunächst von den „alten Kamellen“ nichts wissen will, um dann zum wichtigsten und zornigsten Aktivisten zu werden, als er erfährt, dass Preynat weiter mit Kindern arbeitet. Emmanuel wirkt am stärksten traumatisiert. Seine Beziehungen sind labil, er fühlt sich in seiner Sexualität auch körperlich durch den Missbrauch beeinträchtigt. Pierres Website und Verein „La Parole Libérée“ (Das befreite Wort) helfen ihm vor allem, endlich darüber reden zu können, was ihm angetan wurde.

In GRÂCE À DIEU wird sehr viel geredet, weil immer noch geredet werden muss, und weil die Worte vielleicht wirklich eine Befreiung sein können. Besonders eindrücklich sind die Momente, in denen die Elterngeneration darüber spricht, warum sie nicht, oder nur zurückhaltend reagiert hat. Es sind hilflose Worte – „Wir konnten uns das gar nicht vorstellen, der Pfarrer hat ja immer alle Kinder geküsst…“ – aber sie sind immerhin der Beginn einer Erklärung dafür, warum so viele Kinder und Jugendliche aus der Generation der heute 40-bis-60-Jährigen sexuellen Missbrauch durch Priester, Lehrer, Ärzte und andere Autoritätsfiguren erleiden mussten. Das Weltbild der Älteren war so geschlossen, dass die Verbrechen nicht gesehen wurden. Vielleicht wussten sie wirklich nicht, was sie taten.

Tom Dorow

Details

Originaltitel: Grâce à dieu
Frankreich 2019, 137 min
Sprache: Französisch
Genre: Drama
Regie: Francois Ozon
Drehbuch: Francois Ozon
Kamera: Manuel Dacosse
Musik: Evgueni Galperine, Sacha Galperine
Verleih: Weltkino
Darsteller: Melvil Poupaud, Denis Menochet, Swann Arlaud
FSK: 6
Kinostart: 26.09.2019

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