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Golda – Israels Eiserne Lady

Ein unkritischer Kriegsfilm auf der Berlinale, allen Ernstes?!?

GOLDA feiert den Yom-Kippur-Krieg aus israelischer Perspektive und schenkt Helen Mirren eine Paraderolle als gebeutelte Regierungschefin.

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Festivalkritik: Der Yom-Kippur-Krieg 1973 war der vierte in der langen Reihe israelisch-arabischer Kriege. Wie in allen Auseinandersetzungen davor und danach ging es um Gebietsstreitigkeiten, Gerangel um Grenzlinien, Erobern und Zurückgewinnen von Landstrichen. Im kollektiven Bewusstsein Israels hat der 19-tägige Krieg einen herausgehobenen Platz, weil der Angriff der syrischen und ägyptischen Armeen ohne Vorwarnung an Yom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, erfolgte und weil die bis dahin als unbesiegbar geltende israelische Armee in die Nähe einer Niederlage kam. In weniger als drei Wochen kamen tausende Soldaten ums Leben, Ministerpräsidentin Golda Meir musste im darauffolgenden Jahr aufgrund ihrer Entscheidungen in diesem Krieg zurücktreten.
All dies ist im Nachhinein angelesenes Wissen. Der Film GOLDA von Guy Nattiv, der heute als Berlinale Special Premiere hat, erzählt die Geschichte anders. Er lässt beinah jede reflektierende Einordnung weg und ist größtenteils ein erstaunlich schlichter Kriegsfilm, der völlig unambivalent die israelische Perspektive übernimmt. Israel ist demnach Opfer eines hinterhältigen Angriffs, hat selbstverständlich das Recht auf die umkämpften Gebiete und ist dank des Geschicks seiner politischen und militärischen Führung schon fast Sieger, als der Spielverderber Kissinger mit seinem Beharren auf einem Waffenstillstand dazwischen grätscht. Seine Spannung will dieser Film mit ausführlichen militärischen Strategiebesprechungen erzeugen, als Publikum soll man abgeschossene ägyptische Panzer mit einer so simplen Parteinahme bejubeln, dass es unangenehm aufstößt. Vor allem preist der im Kriegsjahr geborene Israeli Nattiv die auch „Eiserne Lady Israels“ genannte Golda Meir als opferbereite Heldin, die zu einem hohen persönlichen Preis ihr Land rettet.

Der Coup des Films ist die Besetzung der Titelrolle mit Helen Mirren. Die 75-jährige Golda Meir, die sich als eine der ersten Regierungschefinnen der Welt unter politischen Schwergewichten behauptet und ihre Krebserkrankung vor der Öffentlichkeit verbirgt, ist natürlich eine Traumrolle. Mirren wollte sie unbedingt spielen und ohne sie wäre dieses Werk wohl nicht im Berlinale-Programm gelandet. Sie spielt brillant Meirs desillusionierte politische Klugheit und ihren Kampf gegen Krankheit und Verfall, eine Küchenszene mit Kissinger ist ein einsamer komischer Höhepunkt. Doch die fast obsessiv häufig eingesetzten Detailaufnahmen von Mirren-Goldas stark prosthetisch verändertem Gesicht lösen das darin steckende Versprechen nicht ein, in die sicherlich komplexe Gedankenwelt der Hauptfigur hineinzuschauen. Goldas Kampf bleibt immer gut und richtig, und Mirrens Schauspielleistung kann die gedankliche Eindimensionalität des Films nicht verdecken. Dass die Berlinale, die sich so viel auf ihr politisches Bewusstsein zugutehält, einem Film mit so einseitiger, kritikloser Botschaft einen Gala-Auftritt verschafft, überrascht.

Susanne Stern

Details

Originaltitel: Golda
Großbritannien 2023, 100 min
Sprache: Englisch, Hebräisch, Arabisch
Genre: Historienfilm, Kriegsfilm
Regie: Guy Nattiv
Drehbuch: Nicholas Martin
Kamera: Jasper Wolf
Schnitt: Arik Lahav-Leibovich
Musik: Dascha Dauenhauer
Verleih: Weltkino Filmverleih
Darsteller: Helen Mirren, Liev Schreiber, Camille Cottin, Ed Stoppard, Dominic Mafham
Kinostart: 30.05.2024

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