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Europe

Lapidar vom Tisch gewischt

Zohra alias Rhim kann endlich aufrecht gehen. Zur Behandlung einer schweren Skoliose durfte sie in Frankreich einreisen. Mit dem Anfang einer möglichen Zukunft flattert lapidar die Ablehnung des Aufenthaltsbescheids ins Haus.

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In Philip Scheffners Dokumentarfilm HAVARIE erzählt Rhim Ibrir aus dem Off, wie sie, seit sie 12 war, Visa beantragt hat, um ihre in Algerien nicht therapierbare Skoliose behandeln zu lassen. Mit 28 durfte sie endlich nach Frankreich einreisen, mit 32 wurde sie von ihrem Arzt als geheilt entlassen.

Hier beginnt Scheffners Spielfilm EUROPE, der auf der diesjährigen Berlinale im Forum lief, und in dem Rhim als Zohra ihre eigene Geschichte spielt. Fiktion und Realität sind nicht trennbar. Diese Dringlichkeit erspürt man sofort. Zohra alias Rhim kann endlich aufrecht gehen. Mit dem Anfang einer möglichen Zukunft flattert lapidar die Ablehnung des Aufenthaltsbescheids ins Haus. Mit dem Ende der Behandlung entfällt Zohras Recht zu bleiben. Das persönliche Glück, ihr Entwurf von einem Leben in einer provinziellen Kleinstadt, einem Ort, aus dem sich viele Franzosen wegwünschen, wird ihr genommen. Zohra spricht bei der Ausländerbehörde vor. In weniger als zwei Minuten ist ihre Nachfrage vom Tisch gewischt. Raucherpause. Dabei sind es die „Araber“, die die Eltern der Beamten pflegen. Zwei kurze Sätze reichen, um den überheblichen Rassismus preiszugeben, den man sich selbstverständlich leisten kann, mit dem richtigen Pass.

EUROPE geht es nicht um ein Identifizieren, Konsumieren, Schwelgen in Gefühlen: Der Film nimmt der Zuschauerschaft radikal die Projektionsfläche weg. Zohra verschwindet auf einmal in Bild und Ton und wir werden auf den Raum zurückgeworfen, der ohne Zohra auskommen will. Später erscheint sie wieder. Während alle Familienmitglieder in den Sommerurlaub nach Algerien aufbrechen, bleibt sie mit den Schlüsseln für deren Wohnungen zurück. Sie lebt in diesen unterschiedlichen Settings, eignet sich die Lebensentwürfe der Bewohner*innen an und imaginiert ihre Möglichkeiten.

Susanne Kim

Details

Deutschland 2022, 105 min
Sprache: Französisch, Arabisch
Genre: Drama
Regie: Philip Scheffner
Drehbuch: Merle Kröger, Philip Scheffner
Kamera: Volker Sattel
Verleih: Grandfilm
Darsteller: Rhim Ibrir, Thierry Cantin, Didier Cuillierier, Khadra Bekkouche, Nouria Lakhrissi
Kinostart: 10.03.2022

Website
IMDB

Vorführungen

Keine Programmdaten vorhanden.

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