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Eine Frage der Würde

Was kostet Moral?

Stephan Komandarevs Film funktioniert wie ein Drama von Brecht: Eine zunächst moralisch integre Figur wird aus Not zur Komplizin unmenschlicher Umstände.

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Die pensionierte Lehrerin Blaga hat noch einen einzigen Wunsch: Sie will ihren verstorbenen Mann würdig begraben. Das ist im postkommunistischen Bulgarien nicht einfach, Grabstellen sind begehrte Ware, und der Friedhofsverwalter, der immer klagt „Das ist Marktwirtschaft!“, beherrscht selbst das Schachern sehr gekonnt. Blaga setzt ihr gesamtes Erspartes ein und hat sich das Grab schon fast erkämpft, da wird sie Opfer eines Telefonbetrugs. In einer herzzerreißenden Sequenz wird nachvollziehbar, warum sie auf die Panikmache der Betrüger hereinfällt und ihr ganzes Geld in einer Tüte verpackt vom Balkon wirft. Blagas Demütigung und Verzweiflung spielt Eli Skorcheva, einst ein Star des bulgarischen Kinos und nach über dreißig Jahren wieder in einer Filmrolle zu sehen, mit sehr zurückgenommenen Mitteln und damit umso eindringlicher. Die Versuche der 70-Jährigen, mit Aushilfsjobs das verlorene Geld wieder zu verdienen, sind aussichtslos, und als sie auf einer Infoveranstaltung der Polizei die Methoden der Betrüger kennenlernt, wird ihr klar, welchen Weg es für sie gibt: Sie heuert selbst bei den Kriminellen an.

Stephan Komandarevs Film funktioniert wie ein Drama von Brecht: Eine zunächst moralisch integre Figur wird aus Not zur Komplizin unmenschlicher Umstände. An der Deformation ihres Charakters und am stückweisen Abbau ihrer moralischen Grundsätze lässt sich der Zustand der Gesellschaft ablesen, die sie dazu zwingt. Und genau wie es schmerzt, der Kriegsprofiteurin Mutter Courage zuzusehen, wie sie ein Kind nach dem anderen verliert, erzählt EINE FRAGE DER WÜRDE sehr glaubwürdig, wie weh es tut, seine Prinzipien zu verraten und den Bereich des zwischenmenschlichen Anstands zu verlassen. In Brecht´scher Tradition ein Film darüber, was Moral kostet, wann man sie sich leisten kann und wann nicht.

Susanne Stern

Details

Originaltitel: Uroticite na Blaga
Bulgarien/Deutschland 2023, 114 min
Genre: Drama
Regie: Stephan Komandarev
Drehbuch: Simeon Ventsislavov, Stephan Komandarev
Kamera: Vesselin Hristov
Schnitt: Nina Altaparmakova
Musik: Kalina Vasileva
Verleih: jip Film & Verleih
Darsteller: Eli Skorcheva, Gerasim Georgiev, Rozalia Abgarian, Ivan Barnev, Stefan Denolyubov, Ivaylo Hristov
Kinostart: 25.01.2024

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