Die grauen Wolken im Hintergrund deuten es an: Als sich Marlena (Dorota Kolak) und ihr weit jüngerer Mann Tomasz (Lukasz Simlat) beim Sex am frühen Morgen fest ineinander verschlingen, ist ihre Beziehung bereits getrübt. Der Alltag der Zweisamkeit hat die Leidenschaft in einer Liebe verbraucht, die, wie sich später herausstellt, von vornherein schwierig war. Jetzt hat sich Marlena entschieden, ihren schwerkranken, bettlägerigen Sohn Mikolaj (Tomasz Tyndyk) aus dem Heim zu holen, um ihn selbst zu pflegen - und Tomasz versteht die Welt nicht mehr.
Im Original heißt der vierte Spielfilm von Tomasz Wasilewski DIE TÖRICHTEN, und vielleicht waren diese beiden Menschen, die hier um ihre verbotene Liebe ringen, tatsächlich zu naiv, um die Wahrheit zu erkennen. Worum es genau geht, versteht man selbst erst zum Schluss. Das Ausmaß von Tomasz' Verbitterung und die seltsamen Fragen, die er Marlena in Bezug auf ihre Entscheidung stellt, deuten ein bisschen zu lange nur darauf hin, dass die Dinge zwischen ihnen noch viel tiefer im Argen liegen, als die Zuschauer ahnen können. Dazu kommt, dass Marlenas entfremdete Tochter Magda (Katarzyna Herman) voller unerklärlicher, schmerzlicher Wut auf ihre Mutter zu sein scheint.
Wasilewski konzentriert sich in DIE VERLORENEN vor allem auf Marlena. 2016 wurde der Regisseur auf der Berlinale für seinen Film UNITED STATES OF LOVE mit dem Preis für das beste Drehbuch ausgezeichnet, in dem es um das Schicksal von vier Frauen in der polnischen Provinz in der Zeit nach dem Mauerfall geht. Dorota Kolak, die bereits im Vorgänger mitspielte, erweist sich als Glücksfall für die distanzierte Inszenierung. Ihre Darstellung der Marlene bleibt in ihrer subtilen Psychologie ähnlich mysteriös und leerstellenhaft wie die düsteren, verkanteten Bilder von Kameramann Oleg Mutu.

Pamela Jahn