Kein Mensch schickt mehr Briefe. Um so verwunderter ist der Rentner Harold Fry (Jim Broadbent), als er von seiner ehemaligen Arbeitskollegin Queenie (Linda Bassett) ein paar handgeschriebene Zeilen erhält. Sie will sich verabschieden, weil sie mit Krebs im Endstadium im Hospiz liegt. Als sich Harold mit einer kümmerlichen Antwort zum Briefkasten aufmacht, kommt ihm nach einem flüchtigen Wortwechsel mit einer jungen Verkäuferin in der örtlichen Tankstelle eine andere Idee: Er beschließt, zu Fuß vom südenglischen Devon nach Berwick-upon-Tweed an der Grenze zu Schottland zu laufen, um Queenie die Nachricht persönlich zu überbringen. Seine Frau Maureen (Penelope Wilton) lässt er entrüstet und verletzt allein zu Hause zurück. Für Harold ist die Sache klar: Er glaubt, dass er Queenie retten kann, indem er für sie quer durchs ganze Land marschiert. Ganz uneigennützig ist sein seltsamer Plan allerdings nicht. Weil er vor Jahren nicht genug getan hat, um den Selbstmord seines eigenen Sohnes zu verhindern, will er jetzt Buße tun. Als ein Arzt ihm erklärt, dass jemand, der einmal im Hospiz ist, nicht mehr "gerettet" werden kann, lächelt Harold höflich und geht weiter entschlossen seinen Weg.

Hettie Macdonalds Drama ist ein bedächtiges Roadmovie ohne Auto aber mit Symbolcharakter: Etwa, wenn eine Frau (Monika Gossmann), die Harold erschöpft auf der Straße aufsammelt, ihm die wunden Füße wäscht, als sei er Jesus. Das Drehbuch hat die Autorin Rachel Joyce nach ihrem eigenen Roman adaptiert. Trauer und Schuldgefühle, Glaube und Hoffnung, Güte und Menschlichkeit sind die großen Themen, die sich langsam aus der Geschichte kristallisieren. Schließlich ist es an Jim Broadbent, den Film mit Würde und Wärme zu tragen. Aber auf ihn, wie auf Harold, ist Verlass.

Pamela Jahn